Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
den Sorgen vondamals, die keine waren, von den Cafés der Bohème in München und in Berlin, von Atelierfesten, von den Sitten, Büchern, Bildern jener Zeit.
Einer zitierte das parodistische Räuberlied, das ein paar Winter lang die Feste der Münchener Bohème durchklungen hatte. Man konnte den Text nicht mehr recht zusammenkriegen. Es war Sepp, der schließlich die fehlenden Worte der dritten Strophe ausgrub. Es lautete aber die dritte Strophe dieses Räuberliedes folgendermaßen: »Kommt dann eine fette, / Auch verheiratete / Kommerzialratsgattin durch den Wald, / Wird sie erst besichtigt / Und dann notgezüchtigt, / Daß es durch die Bäume widerhallt.« Und alle waren befriedigt und Sepp dankbar, daß sich in seinem Gedächtnis der Text dieser Strophe erhalten hatte.
2
Sie werden’s auch noch billiger geben, Frau Kohn
Am darauffolgenden Nachmittag konnte Anna ein paar Besorgungen für Doktor Wohlgemuth unerwartet rasch erledigen und gewann Zeit für sich selber. Froh der ungewohnten Muße, schlenderte sie durch den Tuileriengarten, als man sie anrief.
Die sie anhielt, war Gertrud Simmel, die Frau des Anwalts Simmel, der im Kuratorium des Beethoven-Vereins gesessen war. Der Beethoven-Verein hatte auf Trautweins Befürwortung einigen seiner Schützlinge Stipendien bewilligt und Aufführungen subventioniert, die sonst nicht zustande gekommen wären. Gertrud Simmel hatte Interesse an geistigen Dingen und verstand etwas von Musik. Aber sie liebte es, ihre Geistigkeit zu betonen. Auch hatte sie sich von jeher als die vielmögende Frau eines Mäzens und wichtigen Mannes gefühlt, und Anna hatte sich zuweilen den Spaß geleistet, ihrzu Munde zu reden und sie dadurch noch weiter in ihr prätentiöses Gehabe hineinzusteigern.
In Paris war man sich selten begegnet. Gertrud Simmel äußerte damenhaft und herzlich ihre Freude, Anna einmal wiederzusehen, und schlug vor, sich auf eine Viertelstunde in das nahe Café Rumpelmayer zu setzen. Eigentlich war das Café Rumpelmayer für Anna zu teuer. Aber sie freute sich, daß sie heute gut aussah, sie hatte sich erst vorgestern für den Abend bei Heilbrun die weißen Haare auffärben lassen, gerade vor Gertrud Simmel lag ihr daran, gut auszusehen. Sie nahm ihren Vorschlag an.
Da saßen also die beiden in dem hübschen Café unter den Arkaden der Rue de Rivoli mitten unter gepflegten, wohlhäbigen Frauen; überall war Geschwatz, Behagen, Sicherheit. Anna Trautwein und Gertrud Simmel sahen frisch und unbesorgt aus wie die andern, es war wie in Berlin, man hätte ebensogut bei Dobrin im Tiergarten sitzen können.
Im Innern war jede der beiden Frauen voll von freundfeindlicher Neugier, wie es der andern gehe. Aber davon ließen sie nichts verlauten, vielmehr versteckten sie ihre Sorgen, gaben sich sicher und überlegen und spielten sich vor, es habe sich nichts geändert. Sie waren nicht im Exil, sie waren in Deutschland.
Man schwatzte von Ausstellungen, die man leider aus Zeitmangel noch nicht gesehen hatte, man streifte ein bißchen die Politik, man sprach vom Pariser Leben, doch so, als wäre man auf einer Reise und als wären nicht die Annehmlichkeiten und Unannehmlichkeiten dieses Lebens die Basis der Existenz. Anna Trautwein beschaute die elegante, sorglose Gertrud Simmel und fragte sich, ob wirklich an ihr alles Unglück abgeglitten sei wie Wasser an einem Ölmantel. Gertrud Simmel beklagte sich gerade darüber, daß es so schwerhalte, geschultes, zuverlässiges Personal zu finden. Anna dachte an eine kleine Geschichte, die ihr eine Freundin aus der jüngsten Vergangenheit des Dritten Reichs erzählt hatte. Dort war es verboten, daß Juden »arisches« Dienstpersonal beschäftigten;infolgedessen hatten viele von den Wohlhabenderen ihre »arischen« Hausangestellten gegen jüdische ausgewechselt. Annas Freundin nun hatte eine ältere jüdische Dame in München aufgesucht, die jetzt ein solches jüdisches Mädchen angestellt hatte. Die alte Dame tadelte sanft ihre neue jüdische Bedienstete, daß sie schon wieder die welkenden Blumen habe stehenlassen, statt sie gegen frische auszutauschen. Woraufhin das jüdische Mädchen frech, weise und skeptisch erwidert hatte: »Sie werden’s auch noch billiger geben, Frau Kohn.«
An diese bittere kleine Anekdote also dachte Anna Trautwein, während sie Gertrud Simmel gegenübersaß. Sie werden’s auch noch billiger geben, Frau Kohn, dachte sie und beschaute die andere mit unguten Augen. Dabei bemühte sie sich, Haltung zu wahren,
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