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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Ungebärdigkeit an seiner Krankheit eine erfreuliche Seite sah, daß sie ihn nämlich davon befreite, an der Gesellschaft bei Pereyros teilzunehmen. Sie selber aber konnte nicht wegbleiben. Es ging einfach nicht. Als Monsieur Pereyro sie telefonisch einlud, hatte er schalkhaft etwas davon verlauten lassen, daß sie bei ihm Leute treffen werde, mit denen sie bestimmt nicht ungern zusammen sei, und es war so gut wie sicher, daß er damit die Herren vom Rundfunk im Auge gehabt hatte. Jetzt war es für sie doppelt wichtig, daß diese Rundfunkaufführung zustande kam, schon wegen des Honorars. Es wäre einfach Wahnsinn, Monsieur Pereyro und die andern Herren vor den Kopf zu stoßen.
    Sie sah ihren Sepp an. Der lag da, fieberig, unglücklich, es war eine Roheit, ihn in solchem Zustand allein zu lassen. Aber es muß sein. Es geschieht in seinem Interesse. Er wird, wenn sie ihn jetzt allein läßt, ein paar unangenehme Stunden haben und sich über sie ärgern. Aber sie hat sich in diesen zwei Jahren Hornhaut genug zugelegt. Das wichtigste bleibt, daß sie die Aufführung der »Perser« durchsetzt. Wenn es erst soweit ist, dann wird er, obwohl er es jetzt nicht wahrhaben will, eineRiesenfreude daran haben. Er kann sich so richtig von innen heraus freuen, wie ein Kind, über jede Kleinigkeit. Er versteht nichts von Geld, und es liegt ihm nichts daran; dennoch sieht sie schon, wie er über die schönen, violetten Tausendfrankenscheine schmunzelnd wird, die sie als Honorar einstreicht. »Eine ganz angenehme Dreingabe«, wird er sagen und mit der Zunge schnalzen. Und er wird maßlos über die Aufführung schimpfen und sich ebenso maßlos darüber freuen. Und es wird keine flüchtige Freude sein, sie wird dauern, Wochen, Monate, vielleicht kehrt er reumütig und endgültig zu seiner Musik zurück, die Aufführung wird Folgen für ihr ganzes späteres Leben haben, und ihre alte, gute Gemeinsamkeit wird wiederhergestellt sein. Nein, wenn schon er so töricht ist und murrt und aufbegehrt, sie muß die Klügere sein, sie muß ihm ein paar Stunden Alleinsein zumuten.
    Schade, daß ihm nicht wenigstens Hanns Gesellschaft leisten kann. Aber Hanns kann nur mehr eine halbe Stunde bleiben, dann muß auch er fort. Er hat eine dringliche Abhaltung, er muß bei seinem Freund, dem elsässischen Buchbinder Merkle, ein paar seiner Genossen treffen. Es geht nicht anders, sie muß Sepp für einen großen Teil des Abends sich selber überlassen.
    Sie richtete ihm von neuem Laken, Decken und Kissen, stellte ihm Bücher und Manuskripte ans Bett, auch Zitronensaft, Hustenpillen, kalten Tee und Zwieback, und gab ihm noch eine Reihe von Ratschlägen; dann, resolut, ging sie.
    Mürrisch, stöhnend, seufzend, das Gesicht zur Wand, lag Sepp und redete während der ganzen Zeit, die Hanns noch blieb, kaum ein Wort. Als sich der Bub dann entfernt hatte, wurde ihm vollends unbehaglich. Das Zimmer war heiß, er atmete beschwerlich, er hustete, und die Pillen, die er gegen den Husten nahm, enthielten Morphium genug, ihm den Kopf zu benehmen, aber nicht genug, um euphorisch zu wirken. Es war noch nicht neun; wenn es gut geht, wird Anna um halb zwölf kommen, vorher bestimmt nicht. Auch Hanns wird kaum vorher zurück sein. Sepp hat bei den »P. N.« anrufenlassen, wenn es etwas Wichtiges gebe, dann solle man es ihm schicken. Wie er jetzt daliegt, wäre er dankbar für alles, was ihn von den übeln Betrachtungen über seine Krankheit ablenkte, selbst für Unangenehmes; aber es wird schon das Schlimmste passieren, was passieren kann, nämlich nichts.
    Er versuchte zu lesen, es ging nicht. Das Licht störte ihn, er löschte es aus, da störte ihn die Bogenlampe von außen. Es war furchtbar heiß, er öffnete das Fenster, da störte ihn die Zugluft, und er fror. Selbst das leise Ticken der schönen Wanduhr, ihm sonst eine Freude, wurde ihm heute zur Qual. Was er machte und was er nicht machte, alles ärgerte ihn. Es war unverantwortlich von Anna, ihn so liegen zu lassen.
    Er bemüht sich, gerecht zu sein. Anna hat ihn bisher immer mit unerhörter Hingabe gepflegt; wenn er auch die Gründe ihrer heutigen Abwesenheit nicht gelten lassen will, ihr scheinen sie durchschlagend, und das entscheidet. Bestimmt wäre sie jetzt lieber bei ihm als bei Pereyros. Er ist ungerecht gegen sie. Aber gegen wen soll er es sonst sein?
    Nach einer Weile steht er auf. Es sind ihm ein paar Sätze eingefallen für einen Artikel. Er wird sie gleich niederschreiben. Anna würde ihn bestimmt

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