Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
sein Haupt zu sammeln. Sie legt es darauf an, ihn ins Unrecht zu setzen, ihn zu demütigen. Erst läßt sie ihn allein, und wenn er ihm dann raucht, wenn er fuchtig wird und ihr einmal keine feine Antwort gibt, dann spielt sie die Tante, die auf dem Sofa sitzt und übelnimmt. Nein, wenn sie ihm so kommt, dann wird auch er bockig. Anihm ist es nicht, das erste Wort zu finden. Schließlich ist er krank, schließlich hat er Fieber, und sie hat kein Recht, es ihm noch schwerer zu machen. Und die Schreibmaschine hat sie auch nicht richten lassen. Und alles wegen diesem blöden, verdammten Rundfunk.
Er beginnt zu schwitzen, wie es beabsichtigt war, und nach einer Weile, zur rechten Zeit, überzieht Anna hurtig und geschickt das Bett mit der frischen Wäsche und kleidet ihn um. Alle notwendigen Verrichtungen besorgt sie, zart und schnell, aber sie spricht nicht. Sie beschränkt sich auf das Notwendigste.
Er ärgert sich. Ärgert sich über sich selber. Sie ist eine gute alte Haut, sie gehören zusammen, und er sollte einlenken. Aber er kann es nicht, er bringt es einfach nicht über sich.
Auch Anna sagt sich, es wäre gescheiter, einzulenken. Aber was zuviel ist, ist zuviel. Sie will sich einmal gehenlassen, sie will nicht immer die Gescheitere sein.
So liegen sie nebeneinander, wortlos. Stunden vergehen. Anna ist todmüde, Sepp fühlt sich zerschlagen, aber sie schlafen nicht, und sie sprechen auch nicht.
5
Madame Chaix und die Nike von Samothrake
Wenn Hanns ein bißchen vielwortig begründet hatte, warum er gerade heute von Haus fortmüsse, so lag das daran, daß er die wahre Ursache nicht gut sagen konnte. Er hatte nämlich keine Verabredung mit Vater Merkle, sondern ein Rendezvous im Café Chasseur d’Afrique.
Er drehte sich durch die Tür des Cafés. Der »Chasseur d’Afrique« war ein billiges, beliebtes Tanzlokal, alle Tische waren besetzt, die ausgesparte Tanzfläche bot kaum genügenden Platz. Hanns drängte sich durch, möglichst unbefangen, leicht errötend. Es war noch eine Viertelstunde zu früh, undGermaine war natürlich noch nicht da. Er bemächtigte sich mit Entschluß eines freien Stuhls und schleppte ihn an einen kleinen Tisch, an dem bereits ein Mädchen und ein junger Mann saßen. Sie musterten ihn mit einem Blick, der nicht eben freundlich war. Er bestellte sich ein Bock. Ein neuer Tanz begann. Seine Tischgenossen erhoben sich; das Mädchen, ihn argwöhnisch betrachtend, ließ seine Tasche liegen, raffte sie dann doch lieber auf und nahm sie mit. Hanns errötete.
Die Paare auf der Tanzfläche bewegten sich langsam, eng. Hanns schaute um sich. Ein paar Mädchen saßen da, allein, die eine oder andere schaute ihn auffordernd an. Wenn er daran dachte, wie er die letzten Male fremde Mädchen zum Tanz hatte bitten müssen, weil seine Kameraden das von ihm erwarteten, fühlte er sich sogleich befangen und begann zu schwitzen. Gott sei Dank hat er es heute nicht nötig, heute muß er niemand ansprechen.
Er genoß es, wie anders dieses Heute war als jene beiden ersten Male, da er in Gesellschaft in einem ähnlichen Café gewesen. Der erste dieser Abende, das war die »Bombe« Gaston Lebeaus gewesen, und er hatte es als großen Erfolg empfunden, daß Gaston, der das schöne und das schlechte Wetter in der Klasse machte, ihn zur Teilnahme aufgefordert hatte. Bei der »Bombe« selber aber war alles schiefgegangen. Die andern hatten wildfremde Mädchen angesprochen und mit ihnen getanzt mit einer ihm unbegreiflichen Natürlichkeit. Er indes war schüchtern und wortkarg in seiner Ecke gesessen; wenn man ihn ansprach, hatte er gestottert, die andern hatten nicht aufgehört, ihn zu frotzeln.
Ja, auf diesem Gebiet ist und bleibt er der Fremde. Seine Kameraden haben es alle schon lange gemacht und finden nichts dabei; nur er hat immer noch seine damischen Hemmungen. Achtzehn Jahre, und noch benimmt er sich wie ein Säugling.
Aber von heut an wird’s anders. Heut wird’s was. Heut fängt Germaine bestimmt ein Gschpusi mit ihm an. EinGschpusi, das münchnerische Wort gefällt ihm. Auch Gaston, wie er ihm erzählt hat, was zwischen ihm und Germaine vorgefallen ist, war der Ansicht, bestimmt werde sie es mit ihm treiben. Sie hat sich’s nicht nur gefallen lassen, wie er sie geküßt hat, sie hat es erwidert, daß ihm Hören und Sehen vergangen ist. Schwindlig war ihm, als sie endlich von ihm abließ, und wenn eine Frau einen so küßt, dann hat sie sich einem eigentlich schon hingegeben.
Der Tanz ist zu
Weitere Kostenlose Bücher