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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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er, seine Stimme klang etwas heiser, nicht so hoch wie sonst, auch gar nicht zornig, eher traurig.
    Hanns war natürlich auf diese Frage vorbereitet. Aber er hatte erwartet, Sepp werde hochgehen, und seine Antwort darauf eingestellt. Daß Sepp jetzt so vernünftig blieb, machte ihm die Antwort schwerer. »Was soll ich denn hier?« erwiderte er, erregter, als er wollte. »Was hab ich denn hier verloren? Wenn ihr wenigstens eure Volksfront zusammenbrächtet. Aber nicht einmal das könnt ihr. Es gibt ja kein richtiges Material hier. Es ist ja alles Bruch. Wie soll man denn da was aufbauen?« Und, ruhiger, fügte er hinzu: »Was ich zu können glaube und was ich jedenfalls gerne machen möchte, das ist Stadtplanung, das ist Städtebau, und das gibt es hier nicht. Das gibt es vielleicht in Amerika, und bestimmt gibt es das in der Sowjetunion. Was soll ich also hier?« Und achselzuckend, wieder ungewohnt heftig, schloß er: »Hier ist doch alles tot. Hier erstickt man ja.«
    Es kam öfter vor, daß Sepp ähnlicher Mutlosigkeit, ähnlichem Defätismus begegnete, und immer sonst erbitterten ihn solche Äußerungen; sie kamen aus lauen Herzen, er wollte sie nicht hören, er bekämpfte sie nach Kräften. Diesmal aber begehrte er nicht dagegen auf, sondern seine Gedanken gingen andere Wege. Der starke Mann ficht, und der kranke Mann stirbt, dachte er, und: Bauen, brauen, sauen, dachte er, das war ein alter Spruch, der die drei Steckenpferde der Münchner Großbürger wiedergeben sollte, und: Eigentlich sind Musik und Architektur das gleiche, beide beruhen sie auf Harmonie. Es ist auch kein Zufall, wenn häufig Mathematiker gute Musiker sind. Bei dem Buben hat sich der ganze Rhythmus in Architektur umgesetzt. Für Musik ist nichts übriggeblieben, leider.Laut sagte er: »Du bist jung, und ich bin nicht mehr jung. Vielleicht bin ich dümmer als du, aber mehr erlebt hab ich auf alle Fälle. Darum versuch ich erst gar nicht, dir Vernunft zuzureden. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß es keinen Sinn hat, in solchen Fällen Vernunftgründe gegeneinander aufzufahren. Je älter ich werde, so deutlicher sehe ich, jeder hat sein inneres Gesetz, und dagegen kann keine Vernunft an. Man trägt selber mindestens ebensoviel dazu bei, sein Schicksal zu formen, wie die äußeren Ereignisse. Da kann einem keiner helfen, und da hilft keine Vernunft.« Das hatte keinen rechten Zusammenhang, fand Hanns, es stimmte auch nicht zu dem, was Sepp sonst vorzubringen pflegte. Es war überdies abgestandenes, verblasenes, idealistisches Zeug. »Nach dem Gesetz, nach dem du angetreten«, und: »in deiner Brust sind deines Schicksals Sterne«, und so. Gänzlich unmarxistisch. Dennoch, fand Hanns, war es das Vernünftigste, was Sepp seit langem geäußert hatte. Gegen seinen Willen packte es ihn, es packte ihn viel mehr, als wenn Sepp losgelegt hätte, beinahe machte es ihn traurig, und jedenfalls stellte es ein Gefühl der Zusammengehörigkeit her, wie es zwischen ihm und Sepp seit langem nicht mehr gewesen war.
    Anna saß da, mühsam atmend. Sie schaute immer nur Hannsens Gesicht an. Daß es aussichtslos war, Hanns einreden und ihn von seinem Plan abbringen zu wollen, füllte sie mit dumpfer Wut. Nach Moskau, dachte sie, und ich soll nach London. Man wird auseinandergerissen. Bruch, Bruch, Bruch. Eine Gnadenfrist habe ich noch. Er muß nicht sofort nach Moskau, und ich soll nicht sofort nach London. Aber kommen wird es so. Das Schlechte kommt immer, und es kommt immer schneller, als man es erwartet. Dabei hat er recht, von seinem Standpunkt aus. In einem anständigen Land lassen sie ihn ja nichts bauen. Darum muß er nach Rußland. Moskau. London. Auseinandergerissen. Bruch, Bruch, Bruch.
    Hanns hat mittlerweile ein Blatt Papier genommen, und da auf Sepps Rede keiner erwiderte, mechanisch zu kritzeln und zu zeichnen angefangen. Da aber sagte Anna, und es war währenddieser Unterredung das erstemal, daß sie den Mund auftat: »Es wäre nett, wenn du jetzt nicht zeichnen wolltest. Es macht mich nervös.« – »Ja, natürlich«, entgegnete Hanns, wieder errötend, »entschuldige«, und er legte Papier und Stift hastig fort. Ein unbehagliches Schweigen war. »Es ist ja noch lange hin«, sagte er dann, »aber ich hab es doch für besser gehalten, es euch gleich zu sagen. Ich weiß auch«, fügte er hinzu, »was alles man gegen eine solche Übersiedlung nach Moskau sagen kann, und hab es alles selber schon bedacht. Aber es sind lauter kleine Erwägungen, und auf

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