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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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zu schwer, und er war stolz, als er in nicht allzu langer Zeit seine Lösung erraten hatte.
    Wiesener stellte man eine besonders schwierige Aufgabe. Er ließ es sich gefallen, er war ein geübter Rätselrater, es gab kaum ein Wort, das er nicht schließlich erjagt hätte. Auch heute trat er sehr sicher auf. Plötzlich aber, als er mitten im Kreise stand, angestrengt nachdenkend, sah er, außerhalb des Kreises, das Gesicht Raouls, der sich vorbeugte, ihn anstarrend. Raoul war seit jener peinlichen Szene gegen ihn höflich und zugesperrt gewesen. Jetzt las Wiesener in den Augen desJungen einen solchen Haß, daß er erschrak. Er verlor den Zusammenhang, er brachte nicht die Konzentration auf, die zur Findung seines Rätselwortes nötig war. Erstaunt sah Lea, daß er versagte.
    Wenn man schon so kindliche Spiele treibe, erklärte Marieclaude halblaut Monsieur Pereyro, dann solle man doch eines spielen, das den Nazi angemessen sei. Und sie schlug der Gesellschaft eine Art Detektivspiel vor. Es sollten Lose gezogen werden; wer das Los des Mörders ziehe, dürfe das nicht verraten. Dann sollten alle Lichter gelöscht werden, die Teilnehmer sich verstecken und der Mörder in der Dunkelheit über ein beliebiges Opfer herfallen. Nach dem Schrei des Opfers und nach kurzer weiterer Dunkelheit solle dann der Detektiv durch Befragen der einzelnen festzustellen suchen, was sich im Finstern ereignet habe, und den Mörder überführen.
    Man machte also dunkel, und das Spiel begann. Bald tönte gräßliches Geschrei, der Mörder war über sein Opfer hergefallen, und als man kurz darauf das Licht wieder einschaltete, machte sich der Detektiv ans Werk. Er konnte aber seine Fähigkeiten nicht beweisen. Bevor er viele Fragen an die einzelnen hatte richten können, erschien blutüberströmt, erschreckend und die Lösung jedermann offenbarend, der »Mörder«, ein junger italienischer Bildhauer: er hatte sich, als er sich nach vollbrachter Tat seinesteils verbergen wollte, im Finstern an der Kante eines Möbelstücks die Stirn aufgeschlagen.
    Es war spät geworden, man machte keinen zweiten Versuch. Die Hauptbeteiligten fanden den Abend geglückt. Leas Zweifel an Wiesener waren weniger quälend, Wiesener selber glaubte sich seinem Ziel näher, Raoul hatte sich mit den beiden einflußreichen Nazi angefreundet, Heydebregg bereute nicht den Entschluß, sich wieder in der Rue de la Ferme zu zeigen.
    Der Parteigenosse war ohne Wagen, Wiesener und Spitzi hatten ihre Wagen da. Wiesener bat Heydebregg, ihn nach Hause bringen zu dürfen. Spitzi stand am Schlag, plauderte. Diese französischen Herrschaften hatten keine ganz sicheren Manieren. Monsieur Pereyro zum Beispiel hatte, nachdemsich die Damen zurückgezogen, die Portoflasche nicht im Sinne des Uhrzeigers herumgegeben. »Und dieses Mörderspiel«, fügte er kopfschüttelnd hinzu, »dieses Mörderspiel, das man da am Schluß noch hat steigen lassen, das hat man wohl aus Amerika importiert. Es ist was für Farmer aus dem Mittelwesten. So was Krasses, Kindisches. Was meinen Sie?« Er lächelte strahlend, nahm Abschied, entfernte sich.
    Heydebregg saß massig in Wieseners kleinem, elegantem Wagen. Nachdenklich, während Wiesener startete, meinte er: »Sonderbar, daß gerade Parteigenosse von Gehrke dieses Spiel kraß findet.«
    Wiesener mußte ein zweites Mal starten. So packte ihn die Erkenntnis, die ihn aus Heydebreggs Worten ansprang, die plötzliche Erkenntnis, worin die »Leistung« bestanden hatte, welche die Stellung seines Feindes Spitzi so schwer angreifbar machte.
    »Wie schön der Mensch von außen ist, / Inwendig ist er lauter Mist«, dachte er einen Spruch aus Freidanks »Bescheidenheit«; denn er war sehr belesen.
8
Herr Louis Gingold im Konflikt der Pflichten
    Da war die »Verwertungsgesellschaft für Hausbesitz« in Chur (Schweiz) und die »Gesellschaft für Beleihung von Grundstücken« in Vaduz (Liechtenstein) und die »Internationale Grundstückskasse« in Göteborg (Schweden) und je eine Gesellschaft ähnlicher Art in Holland, Dänemark und Norwegen. Sah man aber genauer hin, dann schrumpften diese Gesellschaften zu einer einzigen Persönlichkeit zusammen, nämlich zu Herrn Louis Gingold, und geschaffen waren sie, um den Grundbesitz zu verwerten, den Herr Gingold während des letzten Jahrzehnts in Berlin und andern deutschen Großstädten sehr billig zusammengekauft hatte.
    Herr Gingold war geboren als der Sohn eines ziemlich vermögenden jüdischen Händlers in einer kleinen

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