Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Dann, die hebräischen Buchstaben dienen auch als Ziffern, addierte er den Zahlenwert der einzelnen Schriftzeichen, dann, dies war ein alter, abergläubischer Spaß von ihm, sann er auf andere Wörter, deren Buchstaben, als Ziffern gelesen, den gleichen Zahlenwert ergäben. Das so befragte Orakel ergab das Wort »Pleite«. Da aber das Wort »Pleite« im Ursinn »Flucht, Rettung« bedeutet, sah Herr Gingold darin ein gutes Zeichen, er telefonierte mit Herrn Leisegang und vereinbarte eine Zeit, zu welcher er ihn in seiner Wohnung erwarte.
Herr Gustav Leisegang erwies sich als ein blonder, rosiger Herr mit kleinen, blauen, listigen Augen, leicht beglatzt, dick, gut angezogen, ein Mittelding zwischen einem Diplomaten und einem Gastwirt. Er zeigte sich nur wenig irritiert von den Geräuschen, die von außen, aus allen Ecken der Wohnung, hereindrangen, von dem Klavierspiel Fräulein Ruth Gingolds, dem Gekeife Fräulein Melanies, dem übrigen Lärm.
Gustav Leisegang also, ungestört durch die bunte, verwirrende Umwelt Herrn Gingolds, setzte, was er zu sagen hatte, in nie abreißender, sanft plätschernder, gefälliger Suada auseinander. Er führte aus, daß die Inseratenagentur Gellhaus & Co. in der Lage sei, den »P. N.« unter gewissen Umständen beträchtliche Aufträge zu erteilen, und er nannte die Firmen, die in Frage kamen. Herr Gingold hörte zu, abwartenden Gesichtes; er wußte natürlich, daß die Aufträge die Nebensache und die gewissen Umstände die Hauptsache waren. Er hielt es für geraten, die Anspielung auf die gewissen Umstände vorläufig zu mißverstehen, und knurrte, bei erheblichen Aufträgen werde sich gewiß auch über erhebliche Rabatte reden lassen. Gewiß, erwiderte Herr Leisegang, seien Rabatte erwünscht; doch komme es, wenn sich seine Auftraggeber wirklich einmal entschlössen, die »P. N.« als Propagandaorgan zu benutzen, auf die Höhe der Rabatte nicht einmal so sehr an. Ja, es hätten für seine Auftraggeber diese Rabatte letzten Endes so wenig Bedeutung wie vermutlich für einen so vermögenden Mann wie Herrn Gingold das gesamte Inseratengeschäft der »P. N.«. Er schaute, während er das vorbrachte, mit seinen kleinen, blauen Augen Herrn Gingold schlau und freundlich in dessen braune, späherische, bebrillte.
Herr Gingold, nun sehr wach, hielt es für besser, die Frage, welche Bedeutung das vorgeschlagene Geschäft denn nun also für ihn haben könne, noch immer nicht zu tun. Er wußte ohnedies, worum es ging. Die Konzessionen jenseits des Ökonomischen, die der stramme, rundliche Gustav Leisegang da vag und verführerisch auftauchen ließ, konnten sich einzig und allein auf den Berliner Aufenthalt der Eheleute Perles, seines Schwiegersohnes Benedikt und seiner Tochter Ida, beziehen. Trotz der schwedischen Staatsangehörigkeit dieser beiden waren sie nämlich, solange sie in Berlin blieben und Herrn Gingolds Geschäfte wahrnahmen, in Gefahr. Jeder »Nichtarier«, der noch in Berlin aushielt, hatte sein Haupt geradezu im Rachen des Löwen stecken, Schweden war ein kleines Land, daskaum wegen des Ehepaars Perles mit dem Deutschen Reich Krieg anfangen würde, und der Löwe konnte zuschnappen, wann immer es ihm beliebte. Herr Gingold hätte gern seine Tochter und ihren Mann aus Berlin abberufen, aber Benedikt Perles klammerte sich fanatisch an seine Berliner Geschäfte, und Ida, die in Berlin singen lernte, war von ihrem Gesangspädagogen Danneberg nicht wegzubringen. Protektion dieser beiden durch eine einflußreiche Stelle, das allein konnte Leisegang im Aug haben, wenn er von Vorteilen anderer als wirtschaftlicher Natur sprach, die Herrn Gingold aus der Geschäftsverbindung mit ihm erwachsen könnten. Herr Gingold war somit ungeheuer interessiert an dem Angebot. Dennoch beherrschte er sich, saß da, schwieg, wartete.
Leisegang seinesteils ließ ein paar Passagen, die Fräulein Ruth Gingold soeben fortissimo herunterspielte, zu Ende gehen. Dann sprach er weiter. Nun aber wurde auch er vorsichtig und zog es vor, das, was er noch ausführen wollte, lediglich als Vertreter der Inseratenagentur Gellhaus & Co. darzulegen. Sosehr die Geschäftsleute, erklärte er, in deren Namen er Aufträge zu vergeben habe, wünschten, daß ihre Anzeigen dem kaufkräftigen Publikum der »P. N.« vor Augen kämen, sie hätten Bedenken, ihre Erzeugnisse in Hetzblättern zu propagieren. Es seien eher ästhetische Gründe als politische, fügte er mit einem beinahe entschuldigenden Lächeln hinzu, die sie zu
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