Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
solchem Vorbehalt veranlaßten; vulgäres Geschimpfe verstoße nun einmal gegen ihren Geschmack. Herr Gingold möge sich diese seine Ausführungen durch den Kopf gehen lassen. Wenn sich die »P. N.« entschließen könnten, ihre Opposition maßvoller zu betreiben, dann ließen sich seines Erachtens jene für alle Partner vorteilhaften Geschäftsverbindungen anknüpfen, von denen er gesprochen habe.
    Herr Gingold fand es natürlich, daß man für die Konzessionen, die man ihm einräumen wollte, Konzessionen auch von seiner Seite verlangte. Aus der zaghaften Diktion Leisegangs schloß er, daß man seine Position für stark halte und er also mit billigen Gegenleistungen durchkommen werde. ImGrunde seines Herzens jubelte er und war entschlossen, das Angebot anzunehmen. Nicht entschlossen war er über die einzuschlagende Taktik. Er fragte sich, ob er zunächst grob ablehnen oder nur ausweichend antworten solle. Er dachte darüber scharf nach, und zwar dachte er in Jiddisch. Es ist aber das Jiddische ein Gemisch aus einem Fünftel Hebräisch, der Sprache des Jesajas und des Hohenliedes, und vier Fünfteln Mittelhochdeutsch, der Sprache Walthers von der Vogelweide und des Nibelungenlieds. Immer wenn Herr Gingold genötigt war, scharf nachzudenken, tat er das jiddisch, wiewohl er mehrere andere Sprachen, das Rumänische, Französische und Deutsche, gut verstand und geläufig sprach. Vielleicht weil es ihm schwerfiel, aus diesen jiddischen Gedanken in die Sprache des andern zurückzufinden, ließ er wieder mehrere Sekunden verstreichen, ehe er erwiderte.
    Leisegang aber deutete dieses Schweigen dahin, daß er für Herrn Gingold offenbar noch immer nicht deutlich genug gewesen sei, und ergänzte und kommentierte seine Worte. Seine Auftraggeber, erklärte er, seien Männer, die Einfluß im Dritten Reich hätten, umgängliche Herren, die lebten und leben ließen, und bereit, gute Dienste durch gute Dienste zu vergelten, auch durch persönliche. Jetzt mußte Herr Gingold wohl begreifen.
    Der, längst entschlossen, das Geschäft zu machen, hatte sich mittlerweile dafür entschieden, die Sache dilatorisch zu behandeln. Er knarrte einiges Unverbindliche, er wolle sich alles reiflich überlegen, im Augenblick könne er weder ja noch nein sagen, und dergleichen. Dann, biedermännisch tapfer, richtete er sich höher, bemüht, dem Präsidenten Abraham Lincoln noch ähnlicher zu sehen, und erklärte streitbar, man sei sich hoffentlich klar darüber, daß er nicht daran denke, geschäftliche Vorteile mit Opfern der Gesinnung zu bezahlen. Niemand beabsichtige, versicherte eilig Gustav Leisegang, ihm so was zuzumuten. Die Bedenken seiner Auftraggeber richteten sich nur gegen die Form der »Pariser Nachrichten«; was er, Leisegang, Herrn Gingold vorzutragen die Ehre gehabthabe, seien Erwägungen vornehmlich ästhetischer Natur gewesen. Diese Fragen bereinigt, erklärte er abschließend, werde man im Lauf der nächsten Wochen an interessierter Stelle die Haltung der »P. N.« verfolgen, und er hoffe, es werde dann die von ihm angeregte Geschäftsverbindung zustande kommen. Damit entfernte er sich.
    Herr Gingold, allein, war sehr vergnügt. Er ging auf und ab, brummelte ein altes jiddisches Lied, hielt dem Kanarienvogel Schalscheles den Finger hin, daß der darein picke, öffnete die Tür zum Nebenzimmer und rief hinein: »Spiel weiter, Ruth, wozu gibt man das viele Geld aus für deine Stunden, wenn du nicht übst.« Aber seine Gedanken waren bei Gustav Leisegang und seinem Angebot.
    Wie aber, fiel es ihm plötzlich auf die Seele, wie aber, wenn dieser Leisegang doch nicht von Gott gesandt war? Der Posten »Pariser Nachrichten« stand auf dem Konto Gott. Auf diesem Konto durfte man sich keine zweifelhafte Eintragung, keine ungenaue Buchung erlauben. Die Sache aber mit den »P. N.« war nicht eindeutig, es ging da vielerlei durcheinander, das Angebot Leisegangs hatte verschiedene Gesichter, und bestürzt, verwirrten Gefühles, sah sich Herr Gingold auf einmal im Konflikt zweier Verpflichtungen.
    Herr Gingold hatte Pflichten sowohl gegen die jüdische Gemeinschaft wie gegen seine Familie. Wie war das mit den »P. N.«? Wenn er in der Subventionierung der »P. N.« ein gottgefälliges Werk sah, dann deshalb, weil dieses sein Blatt die jüdische Gemeinschaft verteidigte und an dem Heiligen Krieg gegen die Nazi, die Judenfeinde, teilnahm. Judenfeindschaft, das hieß in Herrn Gingolds Sprache »Rischus«, das »Böse schlechthin«, das Grundübel,

Weitere Kostenlose Bücher