Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
erklärte er, wir würdenes erleben, wie sich die Weisheit und das Sehertum des Dichters auch an unsern Persern bewähren werde. Seine milde Stimme ließ, sowie er nur den Mund auftat, die andern verstummen und auf ihn hören. »Wer seinen Äschylus in sich aufgenommen hat«, schloß er, »weiß, daß immer die Gesittung die Barbarei besiegt. Auch wir werden unsere Perser besiegen.«
Riemann wurde unruhig. Wohlgemuth griff mit einem forschen Kalauer ein, um ein Haar wäre alles noch gut abgelaufen, Anna atmete auf. Da aber mischte sich hochmütig Harry Meisel ins Gespräch. »›Barbaren‹, sagen Sie«, wandte er sich an Geheimrat Ringseis, »›unsere Perser‹, sagen Sie. Da muß ich die wirklichen Barbaren und die wirklichen Perser doch in Schutz nehmen. Die Perser, die Barbaren, mit denen Ihre Griechen zu tun hatten, das waren Menschen, das waren vollwertige Völker mit langsam gewachsenen, organischen Meinungen und Sitten. Schänden Sie nicht das Wort ›Barbaren‹, verehrter Herr Geheimrat, indem Sie es auf unsere Nazi anwenden. Glauben Sie wirklich, daß ein Dichter wie Äschylus solche Halbtiere ernst genommen hätte, daß er solchen Pöbel zum Helden einer Tragödie gemacht hätte?«
Man lächelte über seine jugendliche Entschiedenheit. Pereyros versuchten, über seine Sätze wegzugleiten, und sprachen laut von anderem. Tschernigg aber, angestachelt durch seinen angebeteten Harry Meisel, vergaß, was er Anna versprochen hatte, und lärmend, mit seiner hohen Kinderstimme, pflichtete er Harry bei. »Sehr richtig«, quäkte er, »ausgezeichnet. Erwägen Sie doch gefälligst selber, Sie, Herr Geheimrat Ringseis, und Sie, Herr Generalmusikdirektor Riemann, ob ein Dichter die Nazi, wenn sie einmal geschlagen sein werden, Gerichtstag über sich selber halten lassen kann wie Äschylus seine besiegten Perser. Nein, Herr Geheimrat. Da haben Sie sich aber einmal gründlich geirrt, Herr Geheimrat. Von den Persern verstehen Sie allerhand; aber wovon Sie nichts verstehen, das sind unsere Nazi. Unsere Nazi, das ist kein Stoff für einen Äschylus. Das ist nichts als ein Gelächter. Das ist Scheiße, mein lieber Herr Geheimrat,und nichts sonst. Das ist nicht einmal ein Stoff für einen Aristophanes. Da sind die ›Ritter‹ Halbgötter dagegen. Das ist ein Stoff höchstens für einen, der die Häuser abschreit und Lumpen sammelt.«
Anna hatte mehrmals versucht, Tschernigg zu unterbrechen. Aber er ließ sich nicht stören, er hob die quäkende Kinderstimme und wandte sich noch einmal an seinen Freund: »Ausgezeichnet haben Sie das gesagt, Harry. Du sollst den Namen ›Barbaren‹ nicht mißbrauchen und auf unsere Nazi anwenden.«
Jetzt endlich war er fertig, und sogleich versuchte Anna zu begütigen. Schnell und resolut sprach sie auf ihn und auf Riemann ein. Allein Riemann war wieder ganz Staatsrat geworden. Mit einer höflichen, doch bestimmten Geste brachte er sie zum Schweigen. Dann, ein bißchen bleich, aber ohne die Stimme zu heben, erwiderte er Tschernigg: »Sie werden begreifen, Herr, Ihren Namen habe ich leider nicht verstanden, daß ich als Beamter jener Leute, die Sie so geringschätzen, unmöglich Ihrer Meinung sein kann.« Die Handschuhe hatte er schon während der Rede Tscherniggs angezogen; jetzt stand er auf, verabschiedete sich mit einer Verneigung von der ganzen Gesellschaft, ging.
Wohlgemuth drehte den Kopf zwischen dem sich entfernenden Riemann und Tschernigg mehrmals hin und zurück und meinte zu Elli Fränkel: »Milch und Fleisch darf man eben nicht zusammen essen, das steht schon in der Bibel.« Die Pereyros und die Simmels unterhielten sich beflissen, als wäre nichts geschehen. Tschernigg, mit fatalem Grinsen, entschuldigte sich bei der zornigen Anna, er bedaure, den Herrn Staatsrat und Generalmusikdirektor vertrieben zu haben, aber er verstehe nicht recht, warum Riemann wütend werde, wenn man eine schielende Katze eine schielende Katze und das Hitlerreich einen Sumpf und Dschungel nenne. Harry Meisel saß unbeteiligt da. Sepp Trautwein wiegte den Kopf, um seinen langen, schmalen Mund war ein verlegenes Grinsen; es tat ihm leid, daß Tschernigg den Abend gestört hatte,den Anna so mühevoll vorbereitet, aber ein bißchen war es ihm auch recht, daß es einer dem Riemann gesteckt hatte.
In die Betretenheit und etwas krampfige Munterkeit hinein, welche dem Aufbruch Riemanns folgte, kam ein Bote der Rundfunkleute und überbrachte, der hilfsbereite Pereyro hatte das so arrangiert, Anna ein
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