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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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gegeben hatte, wie weit das Vollbrachte zurückblieb hinter der Vollendung. Er hat sich nicht hinreichend gesammelt für das Werk, er hat es verpatzt und verhunzt, er hat sich ablenken lassen durch die verfluchte Politik, weder das eine noch dasandere ist etwas geworden. Er ist nicht nur nicht weitergekommen, nicht einmal die Höhe der Horaz-Oden hat er erreicht. Er erstarrte während dieser Augenblicke der Erkenntnis und saß mit einemmal still und in sich versunken. Dann aber kamen Stellen, die geglückt waren, und jäh über sein knochiges, lebendiges Gesicht erglänzte eine große Freude. So lösten Verzweiflung und Beglückung einander ohne Übergang ab, das fleischlose Antlitz verzerrte sich rührend und grotesk. Anna schaute auf ihren Mann, bewundernd, und ein bißchen genierte sie sich gleichzeitig vor Pereyros.
    Die Musik war zu Ende. Aus dem Apparat kam die Stimme des Ansagers. Jemand schaltete aus. Ein kurzes, unbehagliches Schweigen war. Dann erklärte Trautwein, grimmig krähend: »Na also, das wäre überstanden«, erhob sich und dehnte die Glieder. Jetzt standen alle auf, und es begannen mehrere und gleichzeitig zu reden, ziemlich hastig. Die Pereyros äußerten sich und die Simmels, Wohlgemuth schnarrte Anerkennendes, Elli Fränkel mit ihrer singenden, ein bißchen weinerlichen Stimme gab sich hingerissen. Trautwein hörte sich alles gequälten Gesichtes mit an. Er wartete darauf, was Tschernigg, Meisel und Riemann sagen würden. Tschernigg indes verbreitete sich nur über die Mängel der Wiedergabe, Harry Meisel äußerte sich in scharfen, geistreichen Worten über die Unzulänglichkeit des Rundfunks im allgemeinen, und Trautwein war zu Tode betrübt, überzeugt, daß »Die Perser«, Aufführung und Werk, gründlich versagt hätten.
    Dann aber sprach Leonhard Riemann. Er sprach schneller als gewöhnlich, sachverständig, er ging ins Detail, er anerkannte, ohne Superlative, trocken. Er verglich, kennerisch, »Die Perser« mit den Horaz-Oden, mit der Musik zum Homer, und sein Vergleich zeigte, was in den »Persern« erreicht war. Er verlangte dringlich die Partitur zu sehen. Peter Dülken mischte sich ein; auf seine pomadige, doch sympathische und respektvolle Art unterstrich er Riemanns Einwände. Der gab zu, verwahrte sich, schied gerecht zwischen Positivem und Mißglücktem. Sepp, bei einiger prinzipieller Gegnerschaft,mußte zugeben, daß Riemann das Wesentliche verstanden habe. Er leuchtete auf. Vieles war »nicht gekommen«, manches war erreicht, es war vielleicht kein Sieg, doch sicher keine Niederlage, es war mehr Anlaß zur Hoffnung als zum Verzicht. Es sprachen schließlich nur mehr Riemann, Peter Dülken und Sepp. Anna trank durstig alles, was gesprochen wurde. Man hätte wärmere Worte finden können für ihren Sepp, er selber war nicht sehr geschickt, wenn es galt, sein eigenes Werk theoretisch zu verteidigen; »bilde, Künstler, rede nicht«. Gleichwohl war es ein Sieg, das war keine Frage, eine entscheidende Schlacht war gewonnen. Auch der alte Grieche Ringseis hörte der Debatte zu; er hatte kein Wort geäußert, er schaute heute sehr alt und gebrechlich aus, doch man hatte ihm ansehen können, daß die Musik ihn bewegte.
    Dann machte man sich über das Buffet her, und es wurde, wiewohl die Gesellschaft so wenig einheitlich zusammengesetzt war, ein vergnügter Abend. Pereyros und die Simmels hatten angenehme Umgangsformen, sie verstanden es, über tote und peinliche Momente wegzuhelfen, Wohlgemuths forsches Wesen und Peter Dülkens phlegmatische Frechheit pulverten die Gesellschaft auf. Die Damen Simmel und Pereyro, Elli und Anna selber sahen gut aus, das Buffet war geschickt zusammengestellt, Riemann gab sich keineswegs prominent, sondern war ein behaglicher, humoriger Münchener.
    Anna hatte jedermann und besonders Tschernigg und Harry Meisel ans Herz gelegt, nichts zu sagen, was Riemann in Verlegenheit bringen könnte. Tschernigg hatte ein krauses, ironisches Gesicht gezogen, aber er hatte es versprochen. Seltsamerweise war es der alte, sanfte Geheimrat Ringseis, der den Frieden des Abends brach. Er erklärte Tschernigg und Harry Meisel, daß Äschylus in den »Persern« nicht etwa das einzelne Faktum des griechischen Sieges habe feiern wollen, sondern daß er ein für allemal gezeigt habe, wie die Götter jeden Imperialismus straften. Tschernigg erwiderte etwas Halbironisches. Doch der Greis blieb still und beharrlich bei seiner Meinung. Mit der ihm eigenen sanften Zuversicht

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