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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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den sich dieser nicht erklären konnte. Wenn einer Wohlwollen und Bewunderung für Harry Meisel hatte, dann war es doch er, Sepp.
    Eines Abends, es war der 12. Mai, ein Sonnabend, war Trautwein wieder mit den beiden zusammen. Sie saßen in jenem scheußlichen Café Zur guten Hoffnung, wo Tschernigg Trautwein seine Gedichte vorgelesen hatte. Es waren jetzt ein paar Tische im Freien aufgestellt, es war ein bißchen weniger scheußlich. Aber der kahle, kümmerliche Rasen der Vorstadtgegend mit seinen paar vereinzelten hohen Häusern und seinen Bauzäunen sah noch immer reichlich trostlos aus. Sepp hätte es vorgezogen, anderswo hinzugehen, allein Harry hatte eigensinnig darauf bestanden, daß man hier sitze.
    Oskar Tschernigg war an diesem Abend noch bissiger als sonst. Er meditierte darüber, daß Beethoven trotz vieler Bemühung keinen rechten Text gefunden habe, und was für eine Oper entstanden wäre, wenn ein freundliches Schicksal Beethoven zum Beispiel mit ihm selber zusammengeführt hätte. »So muß ich mich an Sie halten, Professor«, schloß erfreundlich, sich an Sepp wendend, und schüttete seinen Absinth hinunter. Harry Meisel saß unbeteiligt da, wie häufig, aber Sepp hatte, während Tschernigg ihn so arrogant aufzog, das Aug auf ihn gerichtet, auf Harry; so nahm er wahr, daß Harry gerade während Tscherniggs bösartiger Frotzelei ein kaum merkliches, höhnisches Zucken um die Mundwinkel hatte, und dieses Zucken tat Sepp weh.
    Dann sprang wieder einmal Streit auf zwischen Harry und Tschernigg. Tschernigg behauptete, er habe, ein zweiter Koheleth, alles ausprobiert und alles eitel gefunden. Harry erklärte, es komme nicht auf das platt wirkliche Erleben an, sondern auf die Erlebnisfähigkeit; darum glaube er, mehr erlebt zu haben als Tschernigg. Tschernigg höhnte: »Das sagen Sie. Und vor ein paar Tagen haben Sie erklärt, auf die Dauer sei das Leben in der Baracke doch unerträglich öde. Sie müßten einmal wieder etwas wie ein Erlebnis haben, haben Sie erklärt, und müßten Sie sich’s aus der Gosse holen.« Trautwein griff hastig und naiv zu. »Wie wäre es wirklich einmal«, schlug er vor, »mit einem großen Bummel, mit einer ›Bombe‹?« Harry verspürte starke Lust auf dergleichen, aber das wollte er den beiden Armseligen, mit denen er zusammensaß, nicht eingestehen. Er lehnte also ab, überlegen, sehr höflich.
    Später brachte Trautwein die Rede auf Harrys Schriftstellerei, und was wohl ihr letzter Sinn und Zweck sei. »Haben Sie das nicht gemerkt?« wunderte sich höhnisch Harry. »Es ist doch ungeheuer einfach. Ich singe die letzten Menschen des zweiten Jahrtausends und die ersten Menschen des dritten. Oder wenn ich es populärer ausdrücken soll, mein Thema ist der Dreck der Übergangszeit. Wer ein bißchen Grütze hat, mag vielleicht hinter den Zeilen die Hoffnung auf Besseres herauslesen.«
    Gelegentlich, noch später am Abend, sehr beiläufig, erkundigte er sich bei Sepp, ob Bescheid von Tüverlin eingetroffen sei über das Manuskript von »Sonett 66«. Es war kein Bescheid eingetroffen.
    Sepp hatte jene jünglingshafte Drohung Harrys, sich nachAmerika einzuschiffen, so wenig ernst genommen, daß er sie völlig vergessen und Harrys Frage nicht damit in Zusammenhang gebracht hatte. Am Sonntagmorgen indes bat Harry, Tschernigg möge ihm etwas Geld leihen; er müsse nach Akron, Ohio, kabeln. Tscherniggs rundes, blasses Gesicht wurde dumm vor Staunen. Er hatte das Projekt Harrys damals noch weniger ernst genommen als Trautwein. Harry aber erklärte mit der größten Selbstverständlichkeit, er habe doch schon längst angekündigt, daß er nach Amerika gehen werde, falls bis Dienstag 15. Mai kein Bescheid von Tüverlin da sei. Er habe denn auch rechtzeitig an seinen Onkel geschrieben, habe sich über alle Formalitäten und die Überfahrtsgelegenheiten informiert und die nötigen Schritte getan, sich Visum und Kajüte zu sichern. Tschernigg werde zugeben, daß in den zwei Tagen, die ausstünden, kaum noch mit einem Bescheid von Tüverlin zu rechnen sei. Darum wolle er heute nach Akron depeschieren, um sich das zugesagte Geld anweisen zu lassen. Er erwarte mit Sicherheit, übermorgen, am Fünfzehnten, die telegrafische Anweisung in Händen zu haben. Am Siebzehnten dann, am Donnerstag, werde er sich in Le Havre auf der »Washington« einschiffen.
    Tschernigg konnte nicht begreifen, daß Harry sich ernstlich von ihm trennen wollte. Er war außer Fassung. Er hatte bei allem gespielten

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