Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
wollte er? Im Grunde hatte er nie ein Hehl daraus gemacht, daß er sie, ihre Sorgen und ihre Tätigkeit für verdammenswert kleinbürgerlich hielt. Warum plötzlich bat er sie um Hilfe, nicht Sepp? Dabei war es ihr eine Genugtuung.Er sprach, frech und verlegen zugleich, von einer Wandlung. War das echt? Sie dachte an seine Verse, sie dachte an den Text der »Perser«. Sie versprach ihm, sich für ihn einzusetzen.
Mit Eifer machte sie sich ans Werk. Sie warb für ihn bei ihren Freunden, vor allem bei Pereyros, rühmte ihn als großen deutschen Lyriker, und es gelang ihr, durchzusetzen, daß ein bedeutender französischer Verlag Tschernigg aufforderte, sich vorzustellen, damit er allenfalls das Lektorat für deutsche Bücher und Manuskripte übernehme. Tschernigg ging hin, seine Merkwürdigkeiten gefielen, Monsieur Pereyros Empfehlung wirkte, er wurde mit einem klangvollen Titel und einem kleinen Gehalt engagiert. Großartig und mit Krach verließ er das Asyl und mietete sich in einem winzigen Gelaß in dem Vorort Montrouge ein.
Es machte Sepp Eindruck, wie schnell und tatkräftig Anna seinem Freunde hatte helfen können. Er wußte, daß sie es vor allem seinethalb getan hatte, und er war ihr dankbar dafür. Trotzdem wurde die Bindung zwischen ihm und Anna immer lockerer.
Er hatte die Rundfunkaufführung der »Perser« eigentlich von Anfang an mehr als eine Angelegenheit Annas betrachtet denn als seine eigene. Er wollte es auch nicht recht wahrhaben, daß diese Aufführung ein Erfolg war. Doch das ließ sich nicht mehr bestreiten. Es waren nicht nur eine Reihe anerkennender Rezensionen erschienen, es liefen auch bei der Rundfunkleitung, neben ablehnenden und spöttischen, ziemlich viele Schreiben ein, die zeigten, daß eine ganze Reihe von Hörern in diesen »Persern« ein neuartiges, wichtiges Stück Musik erkannt hatten. Sepp wollte selbst das nicht als ein Symptom des Erfolges gelten lassen. Grantig, wie er jetzt war, wäre ihm eine scharfe Ablehnung des Werkes beinahe lieber gewesen. Die hätte er als Beweis dafür angesehen, daß seine Musik neu war, revolutionär. Daß man ihm jetzt so wohlwollend auf die Schulter klopfte, nahm er als Beweis dafür, daß»Die Perser« eine halbe Sache waren, und in der Kunst ist das völlig Mißglückte besser als das Halbe, Vage. Das Gefühl der Unzulänglichkeit, das er während der Aufführung vor seinem eigenen Werk verspürt hatte, wuchs, und wenn ihm Anna harmlos erfreut von günstigen, anerkennenden Urteilen über sein Werk erzählte, verdroß es ihn.
Das kränkte Anna. Wenn sie soviel Mühe darangesetzt hatte, die Aufführung zustande zu bringen, dann hatte sie das nicht allein um der Aufführung willen getan. Sie hatte sich dagegen gestemmt, daß man absinke. Man brauchte Auftrieb, man brauchte Bestätigung, dieser Erfolg war eine Bestätigung. Es war böswillig von Sepp, es war gemein, daß er das nicht zugeben wollte, daß er sich dagegen sträubte, aus purer Verbocktheit, und weil dieser Erfolg zu einem Teil ihre Sache war. Warum sperrt er sich so gegen sie? Warum treibt er immer weiter von ihr fort? Die kleinen äußern Miseren des Exils können nicht daran schuld sein. Darunter leidet er weniger als sie, ganz abgesehen davon, daß ihnen zur Zeit das Honorar der »Perser« das Leben viel leichter macht. Und daß er sie seine Politik entgelten ließe und die andern bösen Dinge, die sein Leben in der letzten Zeit beschatteten, dazu ist er zu gerecht.
Schlimmer schon ist, daß von gemeinsamer Arbeit nicht mehr die Rede ist. Sie hat sich, mit Mühe und Opfern, Zeit frei gemacht, um sich in Ruhe von ihm die Lieder Walthers von der Vogelweide vorspielen zu lassen, die er in der letzten Zeit vertont hat. Leider war diese Arbeit nichts Rechtes geworden; es war kein Wunder, er war langsam, und diesmal hatte er sich überhasten müssen. Allein als sie ein vorsichtiges Wort der Kritik wagte, hatte er sogleich gereizt erwidert. Sie war doch nicht schuld daran, daß er sowenig Zeit für seine Musik hatte. Auch früher haben sie oft gestritten, wenn sie von seiner Musik sprachen. Aber es war dann mehr Bindung gewesen als Trennung. Fortan wird man sich vermutlich nicht einmal mehr über seine Musik streiten.
Ach, was heute noch zwischen ihnen ist, das ist nur mehreine aus der Gewöhnung herrührende Kameradschaft. Sie ist nicht mehr jung genug, ihn zu reizen, und sie hat nicht die Zeit, sich für ihn zurechtzumachen. Vielleicht ist auch diese Erna Redlich daran schuld, daß
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