Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
sachlichen Standpunkt, dann hat natürlich die Mutter das Recht, eine Hausangestellte zu entlassen, deren Leistung sie nicht befriedigt. Spielen aber nicht persönliche Gründe mit? Hat die Mutter vielleicht bemerkt, daß zwischen ihm und Germaine was los ist, und will deshalb die Frau aus dem Haus haben? Darf er das dulden? Muß nicht Germaine, wenn sie jetzt entlassen wird, glauben, er habe bei der Mutter gegen sie gehetzt? Jedenfalls, ob er sich nun als Liebhaber, als Kavalier, dagegen sträubt, oder weil er es als eine soziale Ungerechtigkeit ansieht, es scheint ihm unanständig, Germaine auf solche Art davonjagen zu lassen, und er muß etwas dagegen tun. Aber welche Gründe soll er anführen, wenn die Mutter nicht gleich auf den Verdacht kommen soll, er habe was mit Germaine?
Wenn er nicht bald den Mund aufmacht, dann ist man mit dem Geschirrwaschen fertig, und dann ist es noch viel schwerer, zu sprechen. Er nimmt also Anlauf und erklärt: »Ich finde es nicht richtig, daß du Madame Chaix davonjagen willst. Ich finde es nicht gerecht, daß sie ihren Platz verlieren soll, bloß weil wir jetzt zufällig mehr Geld gekriegt haben.«
Anna atmet innerlich auf, daß es nicht die Ankündigung seines Aufbruchs nach Moskau war, was er auf der Pfanne gehabt hat. Aber es beunruhigt sie, daß er sich an die schlampige Madame Chaix wegwirft. Weiß der Teufel, was er sich da alles holen kann. Aber so sind sie. Sepp hockt mit Erna Redlich zusammen, und Hanns schmeißt sich an diese Schlampefort. Man muß allerhand hinunterschlucken. Dabei ist er nicht einmal aufrichtig zu ihr. Doch im ganzen ist sie recht erleichtert. Um ihn diese Erleichterung nicht merken zu lassen, spricht sie derber als gewöhnlich: »Was geht dich das an«, sagte sie, »ob ich mich mit dieser Chaix behelfe oder mit wem sonst? Ich hab erheblich mehr mit dem Haushalt zu tun als Madame Chaix, und ich sehe nicht, daß jemand mit mir Mitleid hätte. Ich finde es merkwürdig, daß du soviel Gefühl für die Chaix aufbringst; wie ich mich abschinde, jahraus, jahrein, dafür hast du kein Wort.« Hanns fährt eifrig mit dem Geschirrabwaschen fort. Er ist tief errötet. Was ihm die Mutter da hingerieben hat, ist zwar unsachlich, aber es kratzt ihn. Es kratzt ihn, daß er nichts zur Bestreitung des Haushalts beiträgt, daß er mit seinen achtzehn Jahren immer noch den Eltern auf der Tasche liegt. Und, es ist gemein und großkopfig, was er da macht, aber er kann halt nicht anders, er sagt: »Ich habe noch zweihundertfünfzig Franken von dem Mikroskop. Ich hab sie dir seit langem geben wollen. Entschuldige, daß ich’s nicht schon getan hab.«
Für einen Augenblick machte der Zorn Anna das Blut stocken. Dann überkam sie eine kurze, jähe Welle hilfloser Trauer. Hanns ist viel weiter von ihr fort als in Moskau. Er will sie bezahlen. Er will es ihr abkaufen, daß sie die Person dabehält. So weit sind sie auseinander. Aber sie bezähmt Trauer und Empörung, nur ihre Stimme klingt ein wenig spröd. »Das ist freundlich von dir«, erwidert sie, »aber glücklicherweise brauche ich gerade jetzt dein Geld nicht.«
Hanns merkt, wie unverzeihlich tief er sie gekränkt hat. Überall sonst bin ich halbwegs vernünftig, denkt er, nur hier in diesem verfluchten Aranjuez benehm ich mich wie ein Hornochs. Es wäre schon ein Glück, wenn ich hier herauskäme. Ich hab ihr doch wirklich nichts Böses sagen wollen. Ich mag sie doch. Ich weiß doch, wie sie sich für mich abschindet. Ich muß ihr was Nettes sagen. Aber es fällt mir einfach nichts ein. Es ist merkwürdig. Mit Vater Merkle geht alles so leicht, und hier geht alles schief.
Eine halbe Minute lang ist nur das Klirren des Geschirrs im Raum. Dann, gerade wie Hanns ansetzt, um etwas Lahmes, Gutgemeintes zu erwidern, stürmt Trautwein herein. Wie er von seinem kurzen Abendspaziergang zurückgekommen ist, hat er einen Brief vorgefunden, einen Brief von Jacques Tüverlin. Sepp ist aufgewühlt. Er hat immer gewußt, daß Jacques Tüverlin zu »Sonett 66« ja sagen wird; aber daß er so enthusiastisch schreiben werde, das hat er doch nicht zu hoffen gewagt. Tüverlin hat für die Geschichten Harry Meisels viel bessere, überzeugendere Worte gefunden, als er, Sepp, je hätte finden können. Was für eine verdammte Schweinerei, daß dieser Brief nicht drei Wochen früher gekommen ist. Er, Sepp, hat gesehen, was mit Harry Meisel los war, aber er hat einfach nicht die Macht gehabt, den armen Jungen durchzusetzen. Die andern sind
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