Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
das falsch-freundliche Lächeln war von seinem harten, fleischlosen Gesicht verschwunden. Aufmerksam las er die Berichte über die Friedhofschändungen, beschaute lange die Photos und erklärte schließlich, ja, da habe er sich wohl getäuscht und den Herren unrecht getan. Dann fragte er, ob er die Berichte und Photos mitnehmen könne, um sie seinem Freunde zu zeigen, und entfernte sich, etwas verwirrt, wie es schien, und ziemlich überstürzt. Heilbrun und Berger blieben kopfschüttelnd zurück; niemals vorher hatte man HerrnGingold etwas äußern hören, was nach Entschuldigung klang.
Herr Gingold ging nicht nach Haus. Diesmal hätte ihn, sosehr er daran gewöhnt war, der Lärm seiner Wohnung gestört. Er setzte sich in ein kleines Café. Hier, allein unter Unbekannten, in Ruhe, durchlas er nochmals die Berichte und beschaute nochmals die Photos. Vor allem ein Bericht hielt ihn fest, der von der Schändung des Friedhofs zu Weißenburg in Bayern.
Herr Gingold kannte diesen Friedhof. Es war in der Nähe der kleinen Stadt Weißenburg in Bayern gewesen, wo sein Wagen sich überschlagen und seine Frau den Tod gefunden hatte, und auf dem Friedhof von Weißenburg in Bayern lag sie begraben. Herr Gingold hatte ihr einen schönen Grabstein gesetzt, auf dem ihre Verdienste gepriesen waren, und hatte Jahr um Jahr dreißig Goldmark zur Pflege des Grabes geschickt. Solang er in Deutschland war, hatte er darauf gehalten, den Jahrestag ihres Todes in Weißenburg zu verbringen; es grämte ihn, daß er das jetzt, im Exil, nicht mehr konnte. Er hatte seine Frau sehr geliebt, sie war ihm eine gute Frau gewesen, sie hatte ihm vier Kinder geboren, und es hatte ihn hart getroffen, daß sie ihm so früh entrissen worden war. Das Photo des geschändeten Friedhofs mit den umgestürzten und roh zerhauenen Grabsteinen wühlte Herrn Gingold auf.
Er sitzt vor seiner Tasse schwarzen Kaffees, grübelnd. Er hat zwei weitere Unterredungen mit Herrn Leisegang gehabt. Abmachungen, die sich in klare Worte hätten fassen lassen, wurden nicht getroffen; dennoch wissen beide Herren genau Bescheid über Rechte und Pflichten jedes Partners. Die Nazi, das mußte Herr Gingold zugeben, hatten sich auch sogleich darangemacht, die übernommenen Bedingungen zu erfüllen; sein Schwiegersohn Perles kam aus der Verwunderung nicht heraus, wie reibungslos mit einemmal die Berliner Geschäfte sich abwickelten. Es lag im Wesen des abgeschlossenen Handels, daß Herr Gingold seinesteils seinen Verpflichtungennicht ebenso schnell nachkommen konnte; überdies hatte man keine Möglichkeit, nachzuprüfen, was er tat oder ließ. Sich ganz von seinen Verpflichtungen zu drücken, das freilich wäre zu gefährlich gewesen. Die Urbösen waren keine gemütlichen Partner, sie konnten sich nicht nur an seinen Vermögenswerten im Reich schadlos halten, sie hatten auch, Herr Gingold will gar nicht daran denken, seinen Schwiegersohn und seine Tochter Ida als Geiseln in der Hand.
In tiefem Sinnen betrachtete Herr Gingold das Photo des geschändeten Friedhofs. Hatte er doch unrecht daran getan, sich mit den Urbösen einzulassen?
Auf alle Fälle beorderte er, kaum zu Hause angekommen, Herrn Perles und dessen Frau nach Paris, so dringlich, daß die beiden schon am andern Tag eintrafen.
Allein der Überwachungsdienst der Nazi funktionierte schnell und gut. Noch bevor Ida und Herr Perles in Paris angelangt waren, hatte sich auch Herr Leisegang von Gellhaus & Co. bei Herrn Gingold gemeldet, und schon eine Stunde nach ihrer Ankunft war er da.
Man kennt sich jetzt, der blonde, dickliche Herr Leisegang mit der süßen Suada und der knarrige, dürre, hinterhältige Herr Gingold, und man braucht keine langen Umwege mehr zu machen. Gustav Leisegang gibt also ohne Umschweife seiner Verwunderung Ausdruck, daß der einsichtige Herr Gingold so wenig Einfluß auf seine Redakteure nehme und nach wie vor Maßlosigkeiten dulde, welche die Solidität und den Ernst der »P. N.« gefährdeten. Und dann fügt Herr Leisegang still, doch bedeutungsvoll hinzu, er hoffe, die Anwesenheit des Herrn Perles in Paris werde Herrn Gingold helfen, die Dinge etwas schneller zur Reife zu bringen.
Herr Gingold versteht gut die Drohung. Diesmal haben die Nazi seinen Schwiegersohn noch nicht behindert; aber wenn Herr Gingold ihn zurückschickt, daß er seine Geschäfte in Berlin weiter betreibe, werden sie ihn kein zweites Mal herauslassen, ehe Herr Gingold seinen Pakt erfüllt hat.Es ist eine Warnung, die Leisegang
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