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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Herren. Auf jedem Tischchen des Cafés aber sei ein kleiner Korb gestanden mit Gebäck und dabei eine Inschrift: »Das Gebäck ist gezählt.«
    Herr Gingold, die Arme hart an den Körper gepreßt, hörte aufmerksam zu. Ja, er erinnerte sich des Stückes. Auch er habe herzlich gelacht, erwiderte er, über die Inschrift, daß das Gebäck gezählt sei. Heute indes würde er es den Gästen kaum verübeln, wenn sie versuchen sollten, etwas von dem Gebäck zu klauen; denn schließlich hätten ihnen die Café-Inhaber selber vorher die ganzen Kornfelder geklaut.
    Nach dem Austausch dieser Theatererinnerungen kehrte man zum Geschäftlichen zurück. Herr Gingold dankte Leisegang für seine Anregungen und Hinweise und hoffte, Leisegangs Auftraggeber bald zufriedenstellen zu können.
    Um halb zehn Uhr morgens war Benedikt Perles angekommen, um halb elf hatte die Unterredung Gingolds mit Leisegang stattgefunden. Um zwölf Uhr erklärte Herr Perles seinem Schwiegervater: »Es müssen sehr dringliche Geschäfte gewesen sein, Papa, daß du mich mitten aus den Verhandlungen über die Skandinavische heraus von Berlin weggesprengt hast.« Herr Perles war ungehalten.
    Ursprünglich hatte Gingold es vermeiden wollen, den Schwiegersohn über seine Verhandlungen mit Gellhaus & Co. zu informieren, genauso, wie er seinen Sekretär darüber im dunkeln gelassen hatte. Nach den letzten Drohungen Leisegangs schien ihm diese Heimlichkeit bedenklich. Er zog also auch Nachum Feinberg zu, und, nicht ohne Feierlichkeit, informierte er die beiden. Selbstverständlich stellt er das Geschäft mit den Nazi so dar, als ob in einem vernünftigen KopfZweifel über einen günstigen Ausgang niemals hätten entstehen können. Am Ende mußten die Urbösen hereinfallen, wirtschaftlich sowohl wie moralisch, Gingold wird sein ganzes Geld aus dem Reich wieder herausholen, und die »P. N.« werden den Nazi durch ihre gemäßigte Taktik von morgen mehr schaden als durch ihren radikalen Kurs von heute.
    Schwiegersohn und Sekretär hörten Herrn Gingold aufmerksam zu, wiegten die Köpfe, gaben kleine, schmatzende, pfeifende Laute der Anteilnahme und Bewunderung von sich. Benedikt Perles war ein schlanker, zierlicher, regsamer Herr, auf der fleischigen Nase saß ein Kneifer, über dem volllippigen Mündchen ein kleiner, flotter, blonder Schnurrbart, die hübschen Hände waren beweglich, die raschen Augen schleierten sich manchmal und schauten sentimental. Unter Herrn Perles’ gepflegtem, leicht lockigem Haar gingen, während Herr Gingold sprach, ameisenhaft geschäftig viele Gedanken durcheinander. Wenn die Nazi auf etwas happig sind, dann lassen sie sich’s was kosten. Wenn Papa ihnen ihren Willen mit den »P. N.« tut, dann kann ich enorm viel aus ihnen herausfetzen. Papa hat Angst um mich. Er hat Angst um Ida. Er will uns aus Berlin forthaben. Es ist auch gefährlich, wenn ich in Berlin bleibe, und ich kann dabei verschüttgehen. Aber diesen Kampf steh ich durch, das ist die große Chance meines Lebens. Es wird wilde Tänze mit Papa geben; wenn er auf etwas aus ist, dann kämpft er mit Zähnen und Klauen. Aber ich kann ihm den Gefallen nicht tun, ich geh jetzt nicht fort von Berlin. Ich steck mich hinter Ida, der ist er nicht gewachsen.
    Benedikt Perles wußte, daß Ida den Unterricht des Gesangspädagogen Danneberg ebenso mißvergnügt entbehrte wie er selber seine Berliner Geschäfte. Benedikt Perles sah nett und verwegen aus, »klein, aber oho«, pflegte Ida von ihm zu sagen, er hatte gefällige Umgangsformen, einen raschen Witz und glaubte nicht, daß ihn im Ernstfall ein anderer bei Ida ausstechen könnte. Trotzdem spürte er, wenn er an den Gesangspädagogen Danneberg dachte, leises Unbehagen, und ohnesich’s recht einzugestehn, fürchtete er, Idas Begeisterung für den Mann möchte nicht rein beruflich sein. Heut indes, während Herr Gingold sprach, empfand er es beinahe als einen Segen, daß Ida keine zehn Pferde von Berlin und ihrem Professor Danneberg fortbringen konnten.
    Nachum Feinberg mittlerweile, der kleine Sekretär mit dem hohen Rücken, hielt die ganze Zeit den großen, blassen Kopf verehrungsvoll auf den Mund seines Herrn gerichtet. Er hörte scharf zu, er hörte das Gesagte und das Ungesagte, er rechnete, kalkulierte, wog das Für und Wider. Auch stellten sich ihm beim Anblick des seine Geschäfte darlegenden Herrn Gingold Parallelen aus der Geschichte ein, er dachte an große Männer aus der Welt der Geschäfte, an Marcus Licinius Crassus und

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