Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
ihm überbringt; sicher wird er gleich deutlicher werden und bestimmte Forderungen stellen.
Gingold denkt an den Friedhof von Weißenburg, Gingold denkt an seinen Schwiegersohn. Aber das große Spiel mit den Urbösen lockt ihn zu sehr. Er wägt, er überlegt. Glücklicherweise ist er an keine Fristen gebunden, man kann ihm das Tempo nicht vorschreiben; wenn es gefährlich wird, kann er sich immer noch zurückziehen. Er wird das Geschäft weiterführen.
Er begreife nicht, verteidigt er sich, wie Herr Leisegang ihm vorwerfen könne, er dulde Maßlosigkeiten. Keineswegs dulde er. Im Gegenteil, er habe die Publikation einer ganzen Reihe von Fakten und Kommentaren zu diesen Fakten verhindert. Und als ein Mann der Daten und Ziffern zählt er mit tückischer Vollständigkeit an Hand eines Schriftstücks eine lange Reihe von Verbrechen und Schandtaten der Urbösen auf, über die er Berichte und Erläuterungen verhindert habe. Unter dem Vorwand, darzutun, was alles er unterdrückt habe, nützt der schalkhaft tückische Herr Gingold die Gelegenheit, vor Leisegang tausend Scheußlichkeiten aufmarschieren zu lassen, welche die Nazi verübt haben. Die Barbareien, über die in den »P. N.« nicht geredet worden ist, wirken in der sachlichen Art, in der Herr Gingold sie aufzählt, doppelt grausam und abstoßend. Herr Gingold, da Leisegang unterbrechen will, ersucht höflich, sich gegen den Vorwurf der Lässigkeit und Vertragsverletzung verteidigen zu dürfen, und dehnt, die Ironie dieses Vorgangs auskostend, die Aufzählung an Hand seines säuberlichen Zettels endlos lange hin.
Leisegang, nachdem Herr Gingold zu Ende war, meinte freundlich, gewiß gebe es auch einige Greuellügen, welche die »P. N.« nicht gebracht hätten; aber nicht von denen sei die Rede, sondern eben von den veröffentlichten. Wenn Herr Gingold versucht habe, auf seine Redakteure mäßigend einzuwirken, so sei der Erfolg gering, ja kaum wahrnehmbar. Und dann, lebhafter, stellte Herr Gustav Leisegang jene bestimmtenForderungen, die Herr Gingold erwartet hatte. Wenn er sich einen Rat erlauben dürfe, erklärte er, dann stelle er anheim, einige Redakteure zu wechseln. Nur die wenig glückliche Zusammensetzung des Redaktionsbestandes der »P. N.« sei schuld daran, daß die Beziehungen zwischen den »P. N.« und der Inseratenagentur Gellhaus & Co. sich nicht so angenehm gestalteten, wie er es erhofft habe. Manche Aufsätze der Herren Pfeiffer, Berger und zuweilen Herrn Heilbruns selber gefährdeten durch ihre Maßlosigkeit die Solidität und den Einfluß der »P. N.« und ließen seine Auftraggeber am Erfolg der Propaganda in diesem Blatte zweifeln. Ganz unverständlich aber sei seinen Auftraggebern, warum man einen gewissen Herrn Sepp Trautwein, der ein tüchtiger Musikprofessor gewesen sein möge, über andere Dinge schreiben lasse als über Musik. Die demagogische Heftigkeit dieses Herrn verstimme seine Auftraggeber ernstlich.
Herr Gingold hatte Sepp Trautwein auf Drängen Heilbruns angestellt, aber er war kein Freund von ihm, und Trautweins Anwesenheit auf der Redaktion brachte Gingold mehr Ärger und Demütigung, als er vorausgesehen hatte. Heimlich also schmunzelte er, daß die Forderungen der Urbösen seinen eigenen Wünschen beinahe entgegenkamen. Seinem Geschäftsprinzip zufolge aber zögerte er und sperrte sich. Selbstverständlich, erklärte er und setzte sein falschestes Lächeln auf, werde er die Anregung Herrn Leisegangs überdenken. Nur drängen dürfe man ihn nicht, etwas Zeit müsse man ihm lassen. Es liege im Interesse aller, welche eine Verbesserung des Blattes wünschten, und somit auch der Auftraggeber Herrn Leisegangs, daß die notwendigen Veränderungen nicht allzu überstürzt vorgenommen würden. Die Schwenkung, denn um eine solche handle es sich, müsse unmerklich vor sich gehen.
Da aber schlug Gustav Leisegang auf einmal andere Töne an. Mit gelassener Stimme, doch unverkennbar drohend, teilte er Herrn Gingold mit, daß die Langmut seiner Auftraggeber Grenzen kenne. Wenn es darauf ankomme, dann wüßten sie Mittel und Wege, sich gegen Leute zu schützen,die sie übers Ohr hauen wollten. Und, schon wieder munter und freundschaftlich, fragte er Herrn Gingold, ob er sich eines alten Stückes erinnere, eines jüdischen Schwankes, der im früheren Berlin großen Erfolg gehabt habe. Es sei ein lustiges Stück gewesen. »Die Klabriaspartie« habe es geheißen, und gespielt habe es in einem kleinen Café, einem Treffpunkt israelitischer
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