Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
man saß freundlich und vertraut zusammen und unterhielt sich darüber, ob man sich übermorgen besser den Film der Garbo anschaue oder das Konzert Toscaninis anhöre. Bis auf einmal auch aus dieser Debatte Erregung und Zwietracht auflohte.
Wie vorauszusehen war, setzte Ida ihren Willen durch. Streitbar, mit seinem Kneifer spielend, das verwegene Schnurrbärtchen gezwirbelt, versehen mit vielen Ratschlägen Herrn Gingolds, kehrte Benedikt Perles zum Kampf mit den Nazibehörden, erfüllt von Ehrgeiz und glühender Liebe zur Kunst, Ida Perles zum Unterricht des Musikpädagogen Danneberg nach Berlin zurück.
Herr Gingold seinesteils machte sich seufzend und mit innerem Schmunzeln daran, die versprochene Abschlagszahlung an die Nazi zu leisten und den aufsässigen Trautwein aus seinen »P. N.« hinauszulavieren.
Mit raschen, mißtrauischen Augen durchstöberte er das Material, das für die nächsten Nummern bereitlag. Er fandeinen Artikel Trautweins über die Rücksichtslosigkeit, mit welcher die holländische Regierung deutsche Emigranten, die ihr Asylrecht in Anspruch genommen hatten, zurück über die Grenze jagte, obwohl dort, bei den Nazi, Tortur und Tod auf sie wartete.
Gingold, noch leiser, höflicher und hinterhältiger als sonst, fragte Heilbrun, ob er es für opportun halte, diesen Artikel zu bringen. Warum man ihn denn nicht bringen solle, fragte Heilbrun erstaunt zurück. Man müsse, erklärte Gingold, Rücksicht nehmen auf die wenigen Regierungen, die Emigranten noch in ihrem Lande duldeten, und dürfe nicht riskieren, sich in Holland verbieten zu lassen. Heilbrun fand den Artikel Trautweins maßvoll; wenn man schon dergleichen sachliche Feststellungen nicht mehr zu bringen wagte, wohin käme man dann? Gingold saß da, die Arme eng an den Leib gepreßt, strähnte seinen Bart. Die Tatsache allein, meinte er, daß Professor Trautwein diesen Artikel zeichne, sei aufreizend. Trautwein schlage, seitdem er in den »P. N.« arbeite, einen heftigeren Ton an, als er, Gingold, erwartet habe, und gelte nun einmal als maßlos. Es sei angebracht, diesen Mitarbeiter nicht zu oft zu bemühen. Man habe wohl, fuhr er nachdenklich fort und war bestrebt, Heilbrun unter der Brille herauf treuherzig anzuschauen, einen Fehler gemacht, als man Professor Trautwein in die Redaktion setzte. Alles in allem schade dieser Redakteur dem Blatte mehr, als er ihm nütze.
Heilbrun nahm die Zigarre aus dem Mund; seine Augen waren noch mehr blutunterlaufen als sonst. »Habe ich recht gehört?« fragte er. »Sie finden, Sepp Trautweins Mitarbeit schade dem Blatt?« Gingold war auf Widerstand vorbereitet. »Eben das meine ich«, antwortete er sanft, bieder und überzeugt. »Als wir unsere Zeitung gründeten, mein lieber Heilbrun, kamen wir überein, uns von pathetisch hysterischem Geschrei ebenso fernzuhalten wie von sentimentalem Gewinsel. Unser Blatt sollte vornehm sein, objektiv, es sollte aussehen wie seinerzeit in unserm Deutschland Ihre ›Preußische Post‹. Ich zitiere Ihre Worte, mein lieber Heilbrun. Ichkann nicht finden, daß Professor Trautweins Mitarbeit dazu beiträgt, unsern ›P. N.‹ den Charakter der ›Preußischen Post‹ zu verschaffen.«
Heilbrun ging hin und her, ab und zu stieß er den viereckigen, stichelhaarigen Kopf gegen Gingold vor. »Sie finden das reichlich spät, mein lieber Gingold«, sagte er. »Sie hätten sich das überlegen sollen, bevor wir Sepp in die Redaktion nahmen.« Und, des trockenen Tones satt, ereiferte er sich: »Was fällt Ihnen eigentlich ein? Was für ein böser Geist ist in Sie gefahren, daß Sie gerade unsern besten Mann immerfort schikanieren? Schön, die eine oder andere Wendung Sepps ist nicht gerade fein. Aber Feinheit, Analyse, übertiftelte Psychologie haben wir reichlich gehabt; viel Wirkung, scheint mir, haben wir damit nicht erzielt. Gerade, unverzierte Sätze, wie unser Trautwein sie schreibt, das ist genau das, was wir brauchen. Nach so was sehnen sich unsere Leser. Nach so was dürstet die ganze deutsche Opposition, im Land und außerhalb des Landes, das ganze deutsche Volk. Was wir hier fabrizieren, Verehrtester, das sind keine ästhetischen Stilübungen, auch keine akademisch historischen Betrachtungen, das ist öffentliche Meinung, das ist Kampfgeist. Wenn einer den Stil des Blattes, so wie ich ihn mir von Anfang an vorgestellt habe, ganz rein herausbringt, kräftig, männlich, streitbar, dann ist es Trautwein. Und dem wollen Sie das Maul verbieten, wenn er feststellt,
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