Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
seine Gesinnungslosigkeit, das Advokatische an ihm und das ungeheure Glück, das ihn immer jene Sache vertreten ließ, welche die Nachwelt billigte. Seiner Art nach hätte Wieseners Beaumarchais ebensogut für die absolute Monarchie eintreten können wie für die Menschenrechte; sein Glück ließ ihn die Revolution einläuten. Ja, dieser Pierre-Augustin Baron de Beaumarchais war so recht ein Mann nach dem Herzen Erich Wieseners. Wie gern wäre er der Beaumarchais seiner Epoche geworden. Er arbeitete an dem Buch mit Liebe und mengte ironische Anmut hinein, um seine Begeisterung für den Helden nicht zu deutlich zu verraten.
Wenn ihn bei dieser angenehmen Arbeit etwas störte, dann war es die Haltung Maria Hegners. Sie rückte immer weiter von ihm ab. Sie war eine vorbildliche Sekretärin; sie nahm teil an seinem Werk, sie bewies durch gelegentliche Anmerkungen, wie genau sie verstand, worauf es ihm ankam. Aber es gelang ihm nicht, aus ihr eine Äußerung herauszulocken, die übers Berufliche hinausgegangen wäre.
Die gescheite, durch Wieseners Psychologie geschulte Maria nahm jetzt viel schärfer als früher die Eigenschaften wahr, die sie an ihm abstießen. Ins Bewußtsein gedrungen war ihr diese Abneigung in dem Augenblick, da Wiesener Raoul die Ohrfeige versetzt hatte. Diesem letzten, unmittelbaren Anlaß aber waren viele andere vorangegangen, Marias Desillusionierung war langsam erfolgt, jetzt aber war sie endgültig entzaubert. Die Geschicklichkeit, mit der Wiesener über die Schwierigkeiten der letzten Wochen triumphiert hatte, seine heiße, erfolgreiche Arbeit trübten nicht mehr ihre Einsicht in sein wahres Wesen. Sowenig die stete Folge äußerer Siege der Nazi Maria über die innere Brüchigkeit ihrer Herrschaft hinwegtäuschen konnte, sowenig täuschte Wieseners äußerer Glanz und die gute Arbeit an seinem Buch sie hinweg über seine zunehmende innere Verlotterung. Sie haderte mit sich selber, daß sie früher und so lange zu diesem Menschen aufgeblickt hatte, sie durchschaute ihn immer bösartiger, niemand wußte besser als sie Bescheid um alles, was an ihm zweideutig war.
Manchmal spielte sie mit dem Gedanken, von Wiesener wegzugehen. Aber was dann sollte sie anfangen? In Berlin hätte sie leicht eine angenehme Stellung finden können, aber sie wollte nicht zurück ins Dritte Reich. Sie hatte Angst davor, mit eigenen Augen anzuschauen, was die Praxis des Dritten Reichs aus dem ursprünglichen Programm der Nazi gemacht hatte. Schon was sie hier aus der Entfernung zu sehen und zu hören bekam, widerte sie an, und sie fürchtete sich vor dem Ekel, den ihr die Dinge selber in der Wirklichkeit des Dritten Reichs bereiten mußten.
Sie blieb also bei Wiesener, aber sie verhehlte nicht ihre wachsende Enttäuschung. Ihn, im Gefühl seiner Sieghaftigkeit und der sich schön rundenden Arbeit, störte es, daß ein Mensch seiner Umgebung, und gar einer, der ihm so nahestand, ihn anzweifelte. Wenn es ihm gelungen war, selbst die Empörung Leas zu überwinden, was kam diese Maria an, daß sie sich ihm entzog? Er tat alles, um sie von neuem zu bezaubern. Doch sie sperrte sich zu und setzte seinen freundschaftlichen Fragen, was denn eigentlich los sei, und ob er sich so verändert habe oder sie, stummen, bösartigen Widerstand entgegen.
Einmal, in der Rue de la Ferme, bei Tisch, man war zu fünfen, und Lea unterhielt sich gerade mit einem Gleichgültigen, stellte Heydebregg Wiesener seine Lieblingsfrage: »Was Neues aus Afrika?« Wiesener, besorgt, Lea könnte hören und verstehen, gab eine ausweichende Antwort. Doch Heydebregg sprach mit leidiger Beharrlichkeit weiter. Natürlich nannte er keine Namen und wandte einen konspirativen Jargon an. Doch Wiesener merkte mit Unbehagen, daß Lea herüberhorchte. Sie verstand ausgezeichnet zu kombinieren; es war möglich, daß sie erriet, worum es ging.
Doch als die andern sich entfernt hatten und Wiesener mit Lea allein blieb, benahm sie sich wie stets. Bestimmt hat sie nichts gehört. Wiesener ist zu schreckhaft und zu delikat in dieser Geschichte. Er macht sich unnütze Gedanken. Undselbst wenn Lea die dumme Äußerung des Parteigenossen gehört hat, dann hat sie sie nicht begriffen. Heydebregg hat sich sehr allgemein ausgedrückt. »Große Jagd braucht lange Vorbereitung«, das war das Verfänglichste, was er geäußert hat, und das muß sich wahrhaftig nicht gerade auf die »P. N.« beziehen.
Wiesener irrte. Lea hatte gehört, hatte geahnt, und fürchtete, ihre Ahnung
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