Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
stimme. Noch immer, wenn Heydebregg vor ihr saß, ging von ihm jenes Unheimliche aus, das sie leise anzog. Darum auch suchte sie Beziehungen hinter seinen Worten, und seine »große Jagd« wollte ihr nicht aus dem Sinn.
Sie war bei Madame Jacqueline, ihrer Schönheitspflegerin. Mit geschlossenen Augen, feuchte Wattebäuschchen auf den Lidern, den Kopf zurückgelehnt, saß sie, von der Höhensonne grünlichviolett bestrahlt. Madame Jacqueline erzählte allerlei Klatsch, an den gegebenen Stellen streute Lea kleine Sätze der Verwunderung oder des Zweifels ein. Aber sie hörte nur mit halbem Ohr hin. Sie dachte: Nichts Neues aus Afrika? und: Große Jagd braucht lange Vorbereitung. Die Äußerungen des Nilpferds konnten nichts bedeuten und konnten alles bedeuten. Ein böses, untrügliches Gefühl sagte ihr, sie bedeuteten alles.
Friedrich Benjamin lebt, Trautwein hat unrecht gehabt und Erich recht, die »P. N.« haben den infamen, idiotischen Artikel gebracht, Erich ist seines Versprechens entbunden. Das alles kann Erich geltend machen, das alles stimmt, aber das alles hilft ihm nichts und hilft ihr nichts. Wenn Erich ein Komplott gegen die »P. N.« geschmiedet hat, dann kann ihm zwar ihr Verstand keinen Vorwurf machen, aber ihr Gefühl steht gegen ihn auf, daran ist nichts zu ändern.
Was Neues aus Afrika? Große Jagd. Bestimmt war die Rede von den »P. N.«, von Trautwein und Heilbrun. Sie kennt ihren Erich. Er ist rachsüchtig, nachträgerisch, so großzügig er sich gibt. Sicher hat er lange geschwankt, ehe er gegen die Leute vorgegangen ist, er hat Gefühl für Fairneß. Aber dasmacht die Sache nur schlechter. Denn dann hat er eben, das Bessere wissend, seinen schlechten Instinkten nachgegeben. Die Trautwein und Heilbrun sind ihm ein ewiger Vorwurf. Hat er, wegen ihrer günstigen inneren Position, seine günstige äußere dazu benützt, sie anzufallen? Die Vermutung liegt verdammt nahe.
Sachte Hände kneten an ihrem Gesicht herum. Sie sitzt da, angenehm schlaff, ihre Gedanken gehen hierhin und dorthin. Erich arbeitet gut. In diesem »Beaumarchais« kehrt er sein Inneres nach außen in einer gültigen künstlerischen Form. Er ist wer. Er kann was. Und trotzdem, und mag er hundert plausible Gründe dafür anführen, daß sein Versprechen nicht mehr gilt, er weiß genausogut wie sie selber, daß es gilt. Das Lamm des Armen. Wenn er teilhat an der »großen Jagd«, dann muß sie Schluß machen.
Es sind lauter Hirngespinste. Wahrscheinlich hat Heydebregg von einer höchst realen Jagd in Afrika gesprochen. Sie hat Wahnvorstellungen. Sie bezieht alles, was gesprochen wird, auf ihre Freundschaft mit Erich.
Man fettet ihr Gesicht von neuem ein, ein Motor surrt, kleine, warme Ströme streifen über ihre Haut. Was stellt sie da für Backfischerwägungen an, mit Falls und Wenn und Aber. Sie braucht doch Erich nur zu fragen.
Madame Jacqueline ist fertig. Lea beschaut sich im Spiegel. Aber ob er ehrlich antworten wird? Und ob sie wünscht, daß er ehrlich antworte? Wünscht sie nicht, daß er lügen und sie nicht auf seine Lügen kommen möge?
»Wunderbar sehen Sie aus«, rühmt Madame Jacqueline sich und die Kundin. Der Spiegel zeigt ein gelassenes, damenhaftes Gesicht.
Zu Abend aß sie allein mit Raoul. Raoul war schweigsam, verschlossen, wie jetzt fast immer. Es war nicht recht von ihr, daß sie sich vor der Aussprache mit dem Jungen drückte.
Sie nahm einen Anlauf. »Täusche ich mich«, fragte sie, »oder gehst du in der letzten Zeit Monsieur Wiesener ausdem Weg?« Raoul sah einen Augenblick hoch, seine forschenden Augen trafen ihre besorgten, ihr war, als leuchte er auf, als spüre er eine starke Versuchung, eine Last abzuwerfen. Sogleich aber senkte er den Blick wieder, und, an seinem Beefsteak schneidend, antwortete er, gespielt gleichgültig: »Nein, ich habe nichts gegen Monsieur Wiesener.« Er führte indes den Bissen nicht zum Mund, sondern ließ Messer und Gabel sinken und widerrief sich: »Doch, ich habe etwas gegen Monsieur Wiesener.«
Emile kam herein, um abzuservieren. Mutter und Sohn schwiegen, solange er um den Tisch war. In Raoul stürmte es. Noch immer füllte ihn die Schmach ganz aus, die Wiesener ihm angetan hatte. Er fühlte sich bemakelt, der ganze Junge war nichts als eine einzige Rachsucht. Wenn er sich an Heydebregg herangemacht hatte und an Spitzi, dann vor allem, weil er eine Gelegenheit suchte, Wiesener die Schmach heimzuzahlen. Alle die Tage her hatte er mit der Versuchung gekämpft,
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