Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
spitzbübisches Einverständnis. Wiesener war ein Skeptiker, ein Ironiker. Lea nahm nicht mit Unrecht an, es sei ihrem Erich, der seinen Nazi so viele Opfer des Intellekts bringen müsse, eine Genugtuung, mit anzusehen, wie das Nilpferd nicht von ihr loskam.
Zuerst hatte ihr der Parteigenosse auf seine umständliche, altväterische Art behutsame Komplimente gemacht. In den letzten Wochen tat er das nicht mehr. Er saß, wenn sie zugegen war, einfach da, massig, ein bißchen lächerlich, ein bißchen unheimlich, und wartete darauf, daß sie sich zu ihm setzen werde. Das tat sie auch fast immer, und es war, obwohl beide nicht viel sprachen, Kontakt zwischen ihnen.
Er kam übrigens nicht oft. Selbst seine Gegner hätten nicht behaupten können, daß er sich an Lea herandränge und ihr den Hof mache. Gleichwohl verspürte er Schuld. Gerade das Schweigen, wenn sie zusammen saßen, schien ihm unzüchtig. Es stiegen Wallungen in ihm hoch, von denen er glaubte, sie lägen längst hinter ihm. Derlei konnte er nicht brauchen, es stand ihm nicht an.
Allein ein richtiger Nationalsozialist läuft vor Anfechtungen nicht davon, er kämpft sich durch. Er flieht vor niemand, auch nicht vor sich selber. Heydebregg stellte die Besuche in der Rue de la Ferme nicht ein. Er wog das Für und Wider, es hielt sich die Waage. Er nahm kalte Bäder, verdoppelte seine Gymnastik und stellte seine Besuche nicht ein.
In der Comédie Française sah er eine Aufführung der »Bérénice«. Die Würde, mit welcher Titus die geliebte Jüdin Bérénice um seiner sogenannten Herrscherpflichten willen preisgibt, machte ihm Eindruck. Er sprach darüber mit Wiesener. Der erkannte sogleich, daß das Nilpferd eine Parallele sah zwischen der eigenen Beziehung zu Lea und der Liebschaft des Titus zu der Jüdin. Er machte sich daran, die moralische Wirkung der Schaubühne Racines zu bekämpfen. Er bewunderte Heydebregg, daß der zu den wenigen Deutschen gehöre, die für die gezirkelte Gehaltenheit des schwer zugänglichen welschen Dichters Sinn hatten. Dann stellte er Betrachtungen darüber an, daß in der Geschichte und in der Literatur aller Völker unglückliche Liebesbeziehungen mehr Interesse fänden als glückliche. Die unglückliche Liebe des Titus zu der Jüdin sei der Menschheit im Gedächtnis geblieben, genauso wie die verhängnisvolle Liebe des Antonius zuKleopatra: was aber die Menschheit so gut wie vergessen habe, das sei die glückliche Liebe des großen Cäsar zu der Ägypterin. Heydebregg horchte sogleich auf, und der belesene Wiesener belehrte ihn, daß Cäsar, männlich und klug, wie er war, die Alternative, entweder die Ägypterin oder sein großes politisches Ziel aufzugeben, keineswegs habe gelten lassen. Er habe vielmehr beides mit starken Händen an sich gerissen, die Frau und das Reich. Er habe Kleopatra einfach nach Rom kommen lassen und seinen Tag den Geschäften, seine Nächte der Frau gewidmet. Heydebregg, sichtlich beeindruckt, beschloß, Literatur über Kleopatra nachzulesen, und machte sich eine Anmerkung auf seinem Kalender. Wiesener sah mit Vergnügen, wie tief bereits ein vorsichtig dosiertes Gift den Puritanismus des Parteigenossen angefressen hatte.
Heydebregg mühte sich ehrlich, gerecht zu bleiben und seine Politik bis ins kleinste frei zu halten von den Einflüssen der Rue de la Ferme. Da war zum Beispiel die innere Gegnerschaft zwischen Wiesener und Herrn von Gehrke. Hat er nicht vielleicht diesen von Gehrke zugunsten Wieseners in den letzten Wochen ungebührlich vernachlässigt?
Er zog Spitzi wieder mehr in seine Nähe, ja, er nahm sogar die Debatte über die »P. N.« wieder auf. »Sie haben recht gehabt, lieber von Gehrke«, anerkannte er. »Die Unschädlichmachung der ›P. N.‹ zieht sich in die Länge.«
Ja, erwiderte Gehrke, auch ein Freund Wieseners könne das nicht leugnen. Aber, entschuldigte er scheinheilig den Nebenbuhler, das liege eben in der Art solcher homöopathischen Mittel, wie Wiesener sie empfehle, daß sie zunächst in der entgegengesetzten Richtung wirkten. So müsse man es vorläufig in Kauf nehmen, daß die »P. N.« frecher seien als je. Die Heilbrun und Trautwein, schloß er seufzend, würden wohl noch mancherlei Unheil anrichten, ehe Parteigenosse Wiesener sie zahm kriege.
Heydebregg antwortete nichts. Aber da er heute einen gnädigen Tag zu haben schien, entschloß sich Spitzi zu einemVersuch, Wieseners Projekt vielleicht doch noch zu torpedieren. Nach wie vor, erklärte er, halte er es
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