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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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»Wie steht es um die große Jagd?« Er begreift natürlich noch immer nicht, ausgezeichnet spielt er dieses Nichtbegreifen, sie muß die ganze Geschichte erzählen. Auch dann weiß er von nichts, er erinnert sich an nichts, und wie sie geradezu fragt, ob es sich denn nicht vielleicht doch um die »P. N.« handle, bestreitet er es frech und schlicht. Eher wollte er seinen Hut aufessen, ehe er sich mit diesen Schmöcken einlasse, erklärt er, zunächst spaßhaft. Dann, in gespielten Ärger übergehend, fragt er, ob sie denn gar nicht von diesem Komplex loskomme.
    »Deinen Hut aufessen?« fragt sie zurück, und: »Komplex?«, und ernsthaft, doch ohne alles Gewese, sagt sie: »Ich möchte nicht, daß du die Sache scherzhaft nimmst. Sie ist nicht scherzhaft.« Sie droht nicht, sie erklärt auch nicht, daß sein Versprechen von damals noch Geltung habe oder dergleichen. Sieweiß nicht, ob er gelogen hat oder nicht, sie will sich darüber nicht den Kopf zerbrechen. Er hat sein Nein rasch vorgebracht, überzeugend, sie will sich gern überzeugen lassen, sie ist froh, daß er alles abgestritten hat, daß die peinliche Aussprache hinter ihr liegt.
    Die andere Sache anzuschneiden, die mit der Äußerung zu Raoul, hat sie nicht mehr die Kraft. Es hätte auch keinen Sinn mehr. Erich muß zu einem offiziellen Diner, er muß eine Rede halten, in fünf Minuten muß er fort, er steht vor ihr, er sieht sehr gut aus im Frack. Er gibt sich nicht lange damit ab, ihre Warnung zu erwidern, Lea weiß nicht einmal, ob er ihren Satz recht gehört und aufgenommen hat. Er sieht nach der Uhr, er ist pressiert, er schwatzt noch ein bißchen, belangloses Zeug, küßt sie auf die Stirn, geht.
    Er hat Leas Warnung gehört, er hat sie gut verstanden. Diese Warnung hat stärker auf ihn gewirkt, als es lange Ergüsse hätten tun können. Er fährt zu seinem Diner, er strahlt, wie man es von ihm gewohnt ist, er lächelt, schwatzt, hält seine Rede, heiter und wirkungsvoll, wie man es von ihm erwartet. Aber den ganzen Abend fragt er sich, ob er recht daran getan habe, Lea alles glatt abzustreiten. Ja, es war richtig. Es ist mehr als unwahrscheinlich, daß Dritte etwas von dem Komplott gegen die »P. N.« erfahren können, und einfach ausgeschlossen ist es, daß ein Dritter von seiner eigenen Rolle in diesem Komplott erfährt. Seine Notlüge war also erlaubt, sie war geboten. Die einfachste Menschlichkeit, die primitivste Rücksicht auf Lea zwingt ihn, in dieser Angelegenheit zu lügen. Und wohin überhaupt käme er, wenn er erst anfinge, sich von Lea in seine Politik einreden zu lassen? Es wäre einfach ein Verbrechen, wenn er sie in die Heimlichkeiten der Partei einweihte, ein Verbrechen gegen die Partei, gegen Lea, gegen sich selber.
    Dennoch schmeckte ihm das Essen nicht, und während er sonst an solchen repräsentativen Dingen Freude hatte, machte ihm heute das ganze Diner keinen Spaß.
    Auch Lea hat keinen angenehmen Abend. So hat sie sichdiese Aussprache nicht gedacht. Vor der Hauptsache ist sie zurückgewichen. Was ist los mit ihr? Sonst war sie doch nicht so furchtsam; jetzt, in dieser letzten Zeit wird sie feige. Und weiß sie jetzt mehr als vorher? Wenn sie sich zufriedengibt, wenn sie sein Nein für bare Münze nimmt, lügt sie sich dann nicht einfach etwas vor?
    Aber sie muß wohl feig sein. Was sonst bleibt ihr übrig? Was soll man anfangen mit seinem Leben in dieser Zeit? Es ist eine schlechte Zeit; nur darum auch hatten die Nazi hochkommen können. Wenn sie sich ihrer Überzeugung zulieb ihren Freund versagte, dann führte sie jetzt ein leeres, ödes Leben und müßte verzichten auf das, was ihr Freude macht. Sie denkt mit Grauen an ihre Freundin Marieclaude, die es so gehalten hat. Wie leer ist deren Leben, Sie bemitleidet sie. Sie selber hat wenigstens Erich.
    Ja, ja, ja, man könnte sich für sein Leben einen besseren Inhalt vorstellen als Erich. Aber wenn sie ihn nicht hat, dann bleibt ihr gar nichts, und ihr Leben wird leer wie das Marieclaudes. Sie hat schon recht getan, daß sie sich mit Erichs Nein begnügt hat. Man lebt in einer schlechten Zeit, man lebt in einer Übergangszeit. Man muß sich klammern an das, was da ist, man muß es halten, man muß sich etwas vorlügen, ehe man es fahrenläßt.
15
Cäsar und Kleopatra
    Lea fand ihren Flirt mit Konrad Heydebregg ein bißchen »widernatürlich«; dennoch setzte sie ihn fort. Niemals sprach sie darüber ein Wort mit Wiesener. Es herrschte zwischen ihnen ein wortloses, beinahe

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