Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
d’Orsay gegenüber Verständigungskomödie zu spielen.
Hier hatte Spitzi einen bequemen Übergang, er legte Raouls Projekt dar. Heydebregg belebte sich, als er das Wort Jugendtreffen hörte. Das Wort Jugend hatte in Berlin und bei ihm selber guten Klang. Ein solches sogenanntes Jugendtreffen war ein Grund mehr, seinen Aufenthalt in Paris zu verlängern. Übrigens auch ein Grund mehr, die Verbindung mit der Rue de la Ferme aufrechtzuerhalten. Zu bedenken blieb, daß eine Designierung des jungen de Chassefierre den Schmöcken von den »P. N.« neuen Anreiz zu Angriffen auf Wiesener bieten könnte. Aber soll man vielleicht vor diesem Pack kapitulieren?
Heydebregg stand auf. Gnädig sagte er zu Spitzi, der sich gleichfalls erheben wollte: »Bleiben Sie doch sitzen, junger Mann.« Gewichtig ging er in dem kleinen Salon auf und ab, seine Stiefel knarrten. Spitzi, ermutigt durch die Vertraulichkeit, die in der Bezeichnung »junger Mann« lag, stieß weitervor. »Auch den Parteigenossen Wiesener«, sagte er, »wird das Projekt des jungen Herrn de Chassefierre interessieren.« Heydebregg richtete die stumpfen Augen auf Gehrke. »Bei den guten Beziehungen des jungen Herrn zu unserm Wiesener«, fügte der unschuldig hinzu.
Das Nilpferd hielt in seinem Trab inne. Was Spitzi da gesagt hatte, klang harmlos, auch lächelte er unbefangen. Dennoch hörte Heydebregg etwas Bedrohliches heraus, eine bösartige Andeutung, und es gab ihm einen Stich. Es war wirklich seltsam, daß der junge de Chassefierre sich an von Gehrke gewandt hatte und nicht an Wiesener. Das wäre doch nähergelegen. Aber er wird sich nicht mit Spitzi, er wird sich mit Wiesener selbst darüber auseinandersetzen. »Die Sache mit dem sogenannten Jugendtreffen«, erklärte er abschließend, ziemlich trocken, »ist ein interessantes Projekt. Ich werde sie im Auge behalten.«
Noch am gleichen Tag führte er seinen Vorsatz durch und sprach mit Wiesener. Wiesener erschrak. Er sah vor sich das haßerfüllte Gesicht seines Sohnes, wie er es erblickt hatte damals in dem nächtlichen Garten der Rue de la Ferme bei dem Rätselspiel. Jetzt also hat der Rotzjunge mit tückischem Instinkt seinen gefährlichsten Feind herausgefunden, Spitzi, und sich mit ihm verbündet.
Mit zwiefacher Energie riß sich Wiesener zusammen. Sachlich setzte er Heydebregg auseinander, was alles gegen das Projekt einzuwenden war. Man konnte sich einen Mißerfolg wie den der Frontkämpferbewegung nicht ein zweites Mal leisten; das Risiko stand in keinem Verhältnis zu dem zu erzielenden Gewinn. Die Zeit war noch nicht reif für das Projekt. Was die Kandidatur des jungen Herrn de Chassefierre anlangte, so hielt er es nicht für opportun, den empfindlichen Franzosen in Fragen einzureden, die sie allein angingen. »Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, Parteigenosse Heydebregg«, schloß er, »wie freudig gerade ich die Designierung Raouls begrüßen würde. Aber ein anderes ist mein objektives Urteil, ein anderes meine persönliche Sympathie.« Er lächelte freimütig.
Heydebregg hatte nach seiner Gewohnheit die faltigen, wimperlosen Lider über die Augen gezogen. Spitzis bösartige Andeutung wollte ihm nicht aus dem Kopf. Im Geist verglich er Gesicht, Gestalt, Bewegung des Parteigenossen Wiesener und des jungen de Chassefierre. Bestanden blutmäßige Bindungen? War es die Angst vor einem neuen Angriff der »P. N.« und vor dessen Folgen, die Wiesener so beredt machte?
Heydebregg, durch die rasch hinfließende Rede hindurch, spürte, in welch peinvollem Zwiespalt sich der andere befand. Da mühte er sich ab, Argumente vorzubringen, die sich hören ließen, während er doch seinen Haupteinwand verschwieg. Nein, er war nicht geneigt, auf Wieseners Empfindlichkeit Rücksicht zu nehmen. Werde man denn, gab er zu bedenken, hier in Paris überhaupt vorwärtskommen, wenn man immer und überall Methoden des Zauderns anwende? Sowohl in der Sache der »P. N.« wie jetzt in der Sache des Jugendtreffens erweise sich Wiesener als ein rechter sogenannter Cunctator. Soviel Vernunft sei eigentlich erstaunlich bei einem so verhältnismäßig jungen Mann. Es klang scherzhaft, aber Wiesener hörte die Mißbilligung heraus.
Übrigens beharrte Heydebregg nicht bei dem Gegenstand. Er griff jenes andere Thema wieder auf, das Wiesener unlängst angeschnitten, die Historie der Kleopatra. Doch auch das, was Heydebregg da vorzubringen hatte, machte Wiesener keine Freude. Der Parteigenosse hatte mittlerweile über die Geschichte
Weitere Kostenlose Bücher