Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
der Ägypterin nachgelesen, und er hatte nachgedacht über den Sohn, welcher ihrer Verbindung mit Cäsar entstammte, über Cäsarion. Man ergehe sich, meinte er, in Träumen, was sich wohl ereignet hätte, wenn dieser junge Mann, der nach Cäsars Willen den Westen mit dem Orient hätte verschmelzen sollen, nicht von seinem Rivalen Octavius wäre ermordet worden. Er seinesteils, erklärte er schulmeisterlich, sei der Ansicht, daß der junge Mensch, auch wenn er die Herrschaft hätte antreten können, versagt hätte; denn er sei ja einer Mischehe entsprossen.
Da hatte es Wiesener. Zweifellos waren die GedankengängeHeydebreggs angeregt durch Hinweise Spitzis auf Raoul. Wenn der Parteigenosse es schon Cäsar übelnahm, daß er der Kleopatra einen Sohn gemacht hatte, wie dick mußte er erst ihm die Erzeugung Raouls ankreiden.
Dem starren Gesicht Heydebreggs war der Grad seines Unmuts nicht abzulesen. Gnädiger Laune war er bestimmt nicht, als er Wiesener entließ. Wieseners Himmel war bewölkt, als er nach Hause kam. Mit unguten Augen schaute er auf Leas lächelndes Porträt. Zum erstenmal seit langer Zeit mißriet ihm die Arbeit am »Beaumarchais«.
Am andern Morgen wachte Heydebregg nach langem und gesundem Schlaf auf. Während er kalt badete, mit hohlen Händen seinem Bauch und seinem Rücken kleine Güsse verabfolgend, beschloß er, das Projekt des jungen de Chassefierre nicht zu unterstützen. Was Wiesener gesagt hatte, stimmte: das Risiko stand in keinem vernünftigen Verhältnis zu dem möglichen Erfolg. Titus hat recht daran getan, Bérénice wegzuschicken, er, Heydebregg, ist kein Cäsar.
So dachte er morgens halb acht, beim Frühstück, erfrischt vom Schlaf, vom Bad und seiner Gymnastik. Abends um halb acht, nach einem beschäftigten Tag, abgespannt, beim Abendessen, sagte er sich, so ein Jugendtreffen sei keine schlechte Sache, die Gründe des Parteigenossen Wiesener seien subjektiv, es sei falsch, das Projekt ohne weiteres abzulehnen.
Ein paar Tage später befragte ihn Spitzi, ob er nun zu einem Entschluß über Raouls Projekt gelangt sei. Heydebregg, statt einer Antwort, berichtete ausführlich von seiner Unterredung mit Wiesener, gab Wieseners Bedenken genau wieder, manchmal im Wortlaut, trocken, ohne eigenen Kommentar. Spitzi mußte den Eindruck gewinnen, Heydebregg selber habe kaum Einwände gegen Raouls Plan, zögere aber infolge der Bedenken Wieseners. Spitzi freute sich, daß Wiesener Einwände und folglich Angst vor der Geschichte hatte. Man muß also das Projekt mit doppeltem Eifer weitertreiben.
»Die Sache mit dem Jugendtreffen«, erzählte er Raoul, »geht nicht so rasch voran, wie ich gern möchte. Es hat sich ein unerwarteter Gegner gefunden, unser lieber Wiesener.« Die beiden gingen im Bois spazieren, es war Abend, schon fast Nacht, von irgendwo kam Kindergeschrei. Sie schlenderten nebeneinander her und sahen einer des andern Gesicht nur undeutlich. Raoul verlangsamte den Schritt, Spitzi war, als atmete er beschwerlich.
Da war also Raoul wiederum auf Wiesener gestoßen. Der Mann stand vor ihm wie ein Berg, um den man nicht herumkommt, er beschattete sein ganzes Leben. Es war unfair, es war niederträchtig, daß er ihm die eigene Macht so höhnisch zu spüren gab. Es war eine Gemeinheit, ihm immer und immer wieder alles zu verhunzen. Er läßt sich aber sein Leben nicht verhunzen. Er wird es dem Mann zeigen, dem Manne, der nicht sein Vater sein will. Er will nicht sein Sohn sein: er will sein Feind sein.
Rasch muß er handeln, sehr rasch. Wenn nicht, dann wird es dieser Wiesener fertigkriegen, daß auch seine neuen Freunde, Spitzi und Heydebregg, wieder von ihm abrücken. Klaus Federsen, der sich früher so an ihn herangemacht hat, geht ihm jetzt schon aus dem Weg.
Klaus Federsen. Plötzlich hat Raoul eine Idee. »Monsieur Wiesener ist gegen mich?« fragt er gleichmütig zurück. »Schön. Es ist noch nicht aller Tage Abend. Wir werden das Kind schon schaukeln«, zitiert er deutsch, lächelnd, Spitzis Worte, und, wieder französisch, fügt er hinzu: »Quand même. Meinen Sie nicht, Spitzi?« Und während Spitzi lachend zustimmt, überlegt Raoul: Gegen Papa ist jedes Mittel recht. Da mache ich mir keine Skrupel. Es wäre einfach verbrecherische Dummheit, wenn ich mir da Skrupel machte. Ein Mensch, der sich schämt, mein Vater zu sein. Ich werde ihn lehren, mir das Leben zu verhunzen.
Diesmal machte er nicht erst lange Umwege über Maria. Der Flirt zwischen den beiden war jäh zu Ende
Weitere Kostenlose Bücher