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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Heydebreggs gefährlicher Bonhomie immer von neuem angezogen. Raoul sah mit Befriedigung, daß ihn das Nilpferd genau wie früher behandelte, daß er also vielleicht doch nicht so lächerlich war, wie er befürchtet hatte, und die Kränkung über sein Mißgeschick begann zu vernarben. Gab es in der Welt kein anderes Glück als politischen Erfolg? Mochten seine ersten Schritte in die Politik ein jämmerliches Humpeln und Ausgleiten gewesen sein: Persönlichkeit konnte sich schließlich auch anders auswirken als durch politischen Betrieb.
    Es wurde aber Raoul in diesem Sommer von Arcachon neunzehn Jahre alt.
    Sowohl Lea wie Erich hatten aus Raouls Geburtstag von jeher viel Wesens gemacht. Dieser Tag, beinah immer in Arcachon gefeiert, war die Höhe des Sommers gewesen, der schönste Tag des Jahres. Lea wartete mit Spannung darauf, ob Erich nicht den Anlaß benutzen werde, sein Schweigen zu brechen. Im geheimen fürchtete sie, hoffte sie, er werde selber erscheinen.
    Statt seiner kam sehr früh am Morgen ein hübsches, kleines Auto. Der Chauffeur gab die Zulassungskarte ab, die ausgestellt war auf den Namen Raoul de Chassefierre, außerdem überbrachte er einen großen Pack Bücher.
    Als Raoul von seinem morgendlichen Meerbad zurückkam, erwartete ihn Lea am Frühstückstisch; ihre Geschenke hatte sie hübsch geordnet, das Auto stand schlank und zierlich in Sichtweite. Raoul nahm an, es sei ein Geschenk von ihr, er strahlte. Betreten erfuhr er, von wem der Wagen kam. »Par exemple«, rief er überrascht, schon bereuend, daß er sich nicht beherrschen konnte. Lea las ihm mit innerem Lächeln vom Gesicht ab, was in ihm durcheinanderging. »Ein hübsches Auto«, anerkannte er schließlich. »Ja«, meinte Lea. »Ich denke nicht daran, es zu behalten«, erklärte stürmisch Raoul. »Aberes ist ein hübscher Wagen«, fügte er zögernd hinzu. »Entscheide dich nicht zu rasch«, riet, ohne Nachdruck, Lea. »Vielleicht kommt Monsieur Wiesener auch selber«, fuhr sie fort und schämte sich vor Raoul, daß sie ihre Hoffnung hatte Wort werden lassen. Aber Raoul achtete nicht darauf, er war beschäftigt mit dem Auto und den Entschlüssen, welche die Lage von ihm forderte. »Ich schicke ihm den Wagen zurück«, legte er sich schließlich fest. »Ist der Mann noch da, der ihn gebracht hat?« beeilte er sich weiterzureden. »Er soll ihn gleich wieder mitnehmen. Aber ein paar Zeilen gebe ich ihm mit. Die Bücher behalte ich nämlich. Das kann ich, ohne mir was zu vergeben.« Ja, das war eine glückliche Lösung, weltmännisch und der Situation entsprechend. Er hatte keine Beziehungen mehr zu Monsieur Wiesener, er stand ihm ohne Haß und Liebe gegenüber. Monsieur Wiesener war also ein fremder Herr, von dem er zwar nicht ein so kostbares Geschenk wie ein Auto, wohl aber ein paar Bücher annehmen konnte.
    Während des ganzen Frühstücks bosselte er im Geist an den paar Zeilen herum, die er Wiesener schreiben wollte, und unmittelbar hernach setzte er sich hin, um den kleinen Brief auszuarbeiten; er mußte es tun, bevor ihm sein Entschluß leid wurde und er den schönen Wagen vielleicht doch behielt. Der Brief kostete ihn viel Mühe, er zerriß ihn drei- oder viermal, ehe er zufrieden war. Dann gab er dem Chauffeur ein ungewöhnlich hohes Trinkgeld, und der hübsche Wagen und sein Briefchen verschwanden; aber seine Ehre war gerettet.
    Lea war sich mittlerweile klar darüber geworden, wie sie Erich empfangen wollte; denn jetzt war sie sicher, daß er kommen werde. Wenn er vormittags kommt, wird sie ihn annehmen, aber sehr kühl zu ihm bleiben. Wenn er aber erst kommt, nachdem man sich schon zu Tisch gesetzt hat, dann wird sie für ihn nicht mehr zu Hause sein. Sie zögerte das Mittagessen hinaus. Erich kam nicht. Es war gemein von ihm, und der Tag war ihr verdorben.
    Nach Tisch beschäftigte sich Raoul mit den Büchern, die ihm Monsieur Wiesener geschickt hatte. Sie waren ein schwacherErsatz für das Auto, aber Raoul mußte anerkennen, daß sie mit Geschmack und Einfühlung ausgesucht waren. Da war eine hübsch gebundene Gesamtausgabe des Proust, da war das Slangwörterbuch von Barrère und Leland, da war deutsche Emigrantenliteratur. Monsieur Wiesener hatte sich angestrengt und sich vorurteilslos gezeigt, und auf alle Fälle war es erfreulich, daß er ihm nachlief und ihn wiederzugewinnen trachtete.
    Er blätterte in den Büchern. Er blieb hängen an der Vorrede, die ein gewisser Oskar Tschernigg zu dem »Sonett 66« eines gewissen Harry

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