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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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die Gründe ahnen. Eigentlich sollte sie sich mit ihm über den schmählichen Zeitungsartikel aussprechen, der ihn ja noch mehr trifft als sie und Erich. Doch wenn sie das versuchte, das wußte sie, wird er sich nur zusperren. Mit geheimer Angst beobachtete sie ihn während des Mittagessens. Er war wortkarg; aber sie kannte ihren Jungen und merkte, wie sein Gefühl zu ihr hindrängte. Dieses schweigende Einverständnis war ihr ein großer Trost.
    Jetzt freute sie sich beinahe darauf, allein mit ihm in Arcachon zu sein. Ganz leicht, fast heiter, sagte sie: »Ich habe mich jetzt doch entschlossen, schon heute nach Arcachon zugehen. Ich begreife gar nicht mehr, wie wir es so lange in diesem höllischen Paris haben aushalten können.«
    Wie sie erwartet hatte, fragte er nicht weiter nach den Gründen. Für den Bruchteil eines Augenblicks schien es auch ihm tröstlich, von hier wegzugehen und keinem Menschen mehr ins Aug schauen zu müssen außer dieser Frau, die ihn liebte und die ihn nicht lächerlich fand. Aber dann legte es sich wieder schwer auf ihn. Was ist gewonnen, wenn er nach Arcachon geht? Und wenn er noch viel weiter weggeht, wenn er herumjagt von einem Ort zum andern, seiner Lächerlichkeit kann er nicht entfliehen.
    Lea merkte, was in ihm vorging. Sie wollte ihm helfen. Bisher hatte es sich immer von allein verstanden, daß er mitging. Jetzt, seine Selbständigkeit betonend, fragte sie: »Kommst du mit?« Er, dankbar für soviel Rücksicht, weltmännisch leicht, antwortete schnell: »Aber gerne komme ich mit.«
    Lea benachrichtigte keinen ihrer Freunde, daß sie schon jetzt die Stadt verließ. So blieben Mutter und Sohn lange allein in Arcachon. Sie verbrachten träge, angenehme Sommerwochen. Man badete, spielte Tennis, lag in der Sonne, atmete den Geruch des Salzes, des Meerwinds. Des Abends spielte man Schach. Sie sprachen nicht viel miteinander, aber es war gutes Einvernehmen zwischen ihnen. Manchmal noch war in Raoul ein Vorwurf gegen die Mutter, daß sie ihm diesen unseligen Vater gegeben hatte; aber er haßte sie nicht mehr darum, eher tat sie ihm leid.
    Lea ihresteils sagte sich, daß es Raouls frühreifer, törichter Ehrgeiz war, der ihre Beziehungen zu Erich zerrissen hatte. Aber war es nicht gut, daß sie zerrissen waren? Sie lag in der Sonne und ließ die Haut ihres Gesichtes, ihres schlanken Rückens sich bräunen. Langsam, träge, unablässig die gleichen, gingen und kamen ihr die Gedanken. Ist sie wirklich mit Erich fertig? Wenn er sie jetzt in Arcachon anruft, was wird sie tun? Natürlich muß sie antworten lassen, sie sei nicht zu Haus. Aber wird sie das antworten lassen? Und wenn sie es antworten läßt, wird ihr Herz nicht schneller gehenund wird sie es nicht bereuen, tagelang, wochenlang, immer?
    Allein Erich rief nicht an, und er schrieb auch nicht.
    Es quälte sie, daß er es nicht tat. Dabei war sie ihrer jetzt ganz sicher. Sie wird nicht antworten, nicht mehr die leiseste Chance wird sie ihm geben. Es war ärgerlich genug, daß sie ihn nicht zur Rede gestellt hatte, damals nicht und auch später nicht, wegen der frechen und dummen Worte zu Raoul. Warum hatte er seine Vaterschaft verleugnet? Und sie war eine schlechte Mutter, daß sie es schweigend hingenommen hatte. Vielleicht sind ihm die unseligen Worte nur in einem gottverlassenen Augenblick entfahren. Aber wie immer: Es wäre interessant gewesen, zu hören, wie er sich gedreht und gewunden hätte, um sich herauszulügen. Und wenn er es noch so geschickt angestellt hätte, die Tatsache, daß er abgestritten hat, Raouls Vater zu sein, beweist, wie sehr ihn die Angst quält, die Verbindung mit einer Frau, die ihren Tropfen jüdischen Blutes hat, könnte für ihn peinliche Folgen haben. Nein, da hilft keine Ausrede. Es erledigt einen Mann ein für allemal, wenn er sich freiwillig einer Menschengruppe zugesellt, die eine derartige Verbindung ächtet. Und sie will mit einem solchen Menschen nicht länger verbunden sein. Sie ist fertig mit ihren Gefühlen für ihn. Bestimmt ist sie fertig. Ja, wenn sie ihn haßte, dann wäre es anders. So aber spürt sie für ihn nichts als tiefe Abneigung. Nicht ein Bedürfnis, zu fliehen, hat sie aus Paris fortgetrieben, eher war es was wie Ekel vor Erich und vor sich selber. Und das ist die einzig richtige Reaktion auf einen Typ wie Erich. Ein Mensch ist keine feste Größe, er ändert sich, in der Relation zu jedem ändert er sich. Die Lea in Verbindung mit diesem Erich ist etwas Schlechtes, etwas,

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