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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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was die bessere Lea, die wahre Lea, aus sich ausreißen muß und vertilgen für immer.
    Doch nach wie vor hatte sie keine Gelegenheit, zu erproben, wieweit dieses ihr Gefühl stichhielt; denn Erich rührte sich nicht.
    Der schöne, stille Sommer in Arcachon. Meer, Wind, Sonne.Die trägen, wortkargen Gespräche mit Raoul. Wohl kaut sie immer von neuem an ihrem Unmut über Wiesener und sich selbst, dennoch sind diese Wochen in Arcachon seit langem ihre beste Zeit.
    In der dritten Woche traf Heydebregg ein.
    Der erste, der ihn gewahrte, war Raoul. Er ging den engen Weg am Strand entlang, als Heydebregg, offenbar um die Mutter zu begrüßen, aus der Richtung des Gästepavillons auf ihn zukam. Heydebregg schritt langsam einher, massig, seine großen, stumpfen, weißlichen, fast wimperlosen Augen schauten gradaus auf Raoul. Raoul hatte geglaubt, er habe für immer resigniert, und es werde ihm gleichgültig sein, wenn man ihn lächerlich finde. Allein als jetzt Heydebregg auf diesem engen Weg auf ihn zukam, unausweichlich, in weiße Rohseide gekleidet, grotesk und wuchtig, da ließ das Bewußtsein, daß dieser Mann so genau um sein albernes Mißgeschick wußte, den ganzen Jungen brennen in unerträglicher Scham. Gleichzeitig, und das war das albernste, nahm er wahr, daß das Nilpferd keinen Trauerflor mehr trug, sondern der Ärmel seiner seidenen Jacke war ganz weiß. Um seiner Scham Herr zu werden, richtete Raoul all seine Gedanken auf diesen abgelegten Trauerflor. Um wen wohl mochte das Nilpferd getrauert haben? Und eigentlich war es schade, daß der Trauerflor nicht mehr da war. Der Gegensatz zwischen der weißen Jacke und dem schwarzen Band wäre pikant gewesen. Allein es gelang ihm nicht, seine Angst vor den Spottreden des andern zu unterdrücken. Mit prickelndem Unbehagen wartete er darauf, wie ihn jetzt gleich die tiefe, knarrende Stimme mit gelassenem, zermalmendem Hohn zudecken wird.
    Nichts dergleichen geschah. »Wie geht es, mon vieux?« fragte vielmehr das Nilpferd und gab sich aufgeräumt. Das war verdächtig. Aber es kam auch später nichts nach. War das möglich? War für diesen Mann die ganze, furchtbare Geschichte einfach nicht existent? Oder war dies das Wesen derPolitik? Waren solche Zusammenbrüche nichts Ungewöhnliches und somit Raoul gar nicht lächerlich? Oder verstellte sich der andere nur, Diplomat, der er war?
    Lea war Monsieur Heydebregg nicht unwillkommen; er war ein Mann aus der Welt ihres Erich. Übrigens hatte sich Heydebregg in Biarritz erholt, er sah kräftig aus, strotzend, und sehr bald wieder, ohne daß sich etwas ereignet hätte, ohne daß Heydebregg viel gesagt hätte, spürte Lea jene Anziehungskraft, die sie schon in Paris gespürt hatte. Wieder saß sie lange Zeit neben dem wuchtigen Mann, der in seiner Gravität gleichzeitig unheimlich und von leiser Komik war. Sie stellte bittere Vergleiche an zwischen der Ganzheit und Entschiedenheit dieses Mannes und der Halbheit Erichs und ihrer eigenen. Ja, wenn Erich, wie dieser, ein richtiger Barbar wäre, dann hätte sie sich ihrem Gefühl für ihn mit gutem Gewissen hingeben können. Wenn der Zivilisierte zuweilen Unbehagen spürt an seiner Kultur und sich zum Barbaren hingezogen fühlt, da ist nichts, dessen er sich zu schämen hätte. Aber Erich gehört ja selber zu den Zivilisierten, er gehört zu uns, und wenn er die Maske des Barbaren trägt, dann tut er’s nur aus scheußlicher Rechenhaftigkeit.
    Heydebregg sah mit Befriedigung, daß seine Gegenwart Madame de Chassefierre angenehm war. Es tat ihm wohl, neben ihr zu sitzen oder zu liegen, massig, unheimlich, halbnackt, er spürte selber den Gegensatz, er kostete ihn aus, und wenn ihm der Verkehr mit dieser nicht ganz Reinrassigen leises Unbehagen machte, so war das nur ein Reiz mehr. Es war Odysseus bei der Nymphe Kalypso.
    War es nicht sonderbar, dachte er manchmal, daß neben dieser zierlichen und erfreulichen Dame de Chassefierre er hier lag und nicht Wiesener? Zwischen diesem und der Dame waren offenbar Mißhelligkeiten entstanden. Es täte ihm leid, doch ein wenig freute es ihn auch, wenn daran er schuld wäre. Er hatte Wiesener gern. Als er seinerzeit von der günstigen Zusammensetzung des Schiedsgerichts in Sachen Friedrich Benjamin erfahren, hatte ihm die Tatsache, daß Wiesenerdurch dieses Ereignis gewissermaßen rehabilitiert war, ehrliche Freude gemacht. Trotzdem entbehrte er ihn jetzt gern.
    Die drei fühlten sich in diesem Sommer in Arcachon wohl und ruhig. Lea war von

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