Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
»Beaumarchais«. Durch sie schafft er sich für alle Zeiten ein literarisches Alibi. Der »Beaumarchais« ist eine augenzwinkernde Versicherung für die Späteren, daß sich Erich Wiesener jederzeit dessen bewußt war, was er tat, es ist eine Auseinandersetzung mit seinen späteren Kritikern. Wieder erging er sich in der Historia Arcana in langen Betrachtungen über seine glückliche Gabe, in einem Literaturwerk die Gewissensbisse abzureagieren, die ihm seine politischen Geschäfte bereiteten.
Vorläufig wurde allerdings nur die Wirkung dieser seiner politisch journalistischen Geschäftigkeit sichtbar. Seine Artikel fanden Anerkennung nicht nur bei den Machthabern, sie beruhigten auch die Skrupel der vielen, welche die Vorteile gern hinnahmen, die das Regime ihnen bot, sich aber Vorwürfe machten wegen der zunehmenden Barbarei, in die es das Land, ja den Erdteil stürzte. Wenn sie Erich Wieseners Aufsätze lasen, dann war die Barbarei nicht mehr Barbarei,dann war sie Kraft, die sich höchstens ab und zu ein wenig wild gebärdete.
Andere allerdings waren empört über seine Schreiberei. Es kam vor, daß ihm jemand anonym einen Band Puschkin zusandte, in dem die Stelle angestrichen war: »Wer im Abtritt wohnt, gewöhnt sich an Scheiße.« Ein andermal, in einem Restaurant, sagte jemand am Nebentisch: »Da drüben sitzt Wiesener. Früher hat er einmal ein Menschengesicht gehabt, jetzt frißt er sich satt bei den Nazi. Es braucht nur ein Trog da zu sein: die Schweine kommen von selber.«
Wiesener hatte eine souveräne Art, über solche Schmähreden wegzuhören, und wenn beleidigende Zuschriften kamen, reichte er sie Maria hinüber und sagte etwa: »Das ist wieder Wasser auf Ihre Mühle, was, Maria?« Doch in seinem Innern wurmte ihn der Schimpf. In der Historia Arcana füllte er Seiten damit, sich vor seinen Gegnern zu rechtfertigen. Was wäre gewonnen, wenn er den Nazi sein Amt mit Krach hinschmisse? An seine Stelle käme ein Schlimmerer, der plumper schriebe. Keine Änderung wäre erreicht, höchstens eine zum Schlechteren. Da schon einer hier in Paris den journalistischen Repräsentanten der Nazi machen mußte, war es nicht für alle Teile das beste, er besorgte dieses Amt?
Die »Pariser Nachrichten« las er, seitdem durch die günstige Zusammensetzung des Schiedsgerichts ihre Bedeutungslosigkeit dargetan war, beinahe mit Vergnügen. War ein Artikel besonders gut geschrieben, dann anerkannte er das mit fachmännischem Lob. Sollen die Herren ruhig dreimal in der Woche ihre zehn Seiten täglich füllen. Die Artikel, die sie zusammenschreiben, bleiben akademische Stilübungen. Ihm eilt es nicht, sein Plan reift langsam, aber sicher. Schon sitzt er in den »P. N.« wie der Wurm im Apfel.
War es nicht überhaupt töricht, die Äußerungen eines tätigen Politikers mit ethischen Maßstäben zu messen? Was waren sie anders als Waffen? Aus einer Äußerung über Politik durfte man auf den Charakter ihres Urhebers sowenig schließen wie aus einer Äußerung übers Wetter. Dem geborenenPolitiker war Politik Selbstzweck, Kunst um ihrer selbst willen, ein erregendes Spiel, und ob man zu dieser Partei hielt oder zu jener, erlaubte Schlüsse auf den Charakter sowenig wie das Faktum, daß man auf Rot setzte oder auf Schwarz. Wer einen Politiker richtig werten will, der darf nichts anderes betrachten als die Kunst seines Handwerks, die Eleganz, mit der er seine Pläne ausführt, nicht die Sache, die er vertritt. Gedanken solcher Art erörterte er in vielen Variationen in der Historia Arcana. »Der Politiker darf sich nicht zum Sklaven seiner eigenen Worte machen.« Da hatte Machiavelli ein gutes Wort gesagt, und er, Wiesener, beherzigte es.
Oft stand er vor Leas Porträt. Es lächelte damenhaft auf ihn herunter, leise ironisch, und machte sich lustig über seine Halbheit. »Ich möchte nicht, daß du die Sache scherzhaft nimmst«, hatte sie zu ihm gesagt, als sie ihn nach seinen Beziehungen zu den »P. N.« fragte. Nein, leider konnte er die Sache durchaus nicht scherzhaft nehmen; sonst wäre er längst nach Arcachon gefahren. So aber hatte er Angst davor, sie wiederzusehen, und gleichzeitig eine rasende Sehnsucht nach ihr.
Sehr oft war dieses ihr Porträt für ihn nicht da, er ging daran vorbei, schaute es an, blicklos, als wäre es ein Stück Wand, ein Ornament. Dann wieder war es ihm ungeheuer lebendig. Er dachte daran, wie zuweilen, wenn sie sich mischten, ihr gelassenes Gesicht verwildern und wie es sich dann wieder
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