Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
herumgemäkelt und gebessert, jedermann mußte zu der Überzeugung kommen, dieser Oskar Kleinpeter werde sich niemals von seiner Frau und seinem Kinde trennen. Ein klares, entschiedenes Ja freilich hatte sie aus ihm nicht herausholen können.
Heilbrun kannte Kleinpeter und sah deutlich vor sich, wie das zugegangen war, was Greta da erzählte. Er konnte sich jede Einzelheit ausmalen, wie der schwerfällige Mann in London angerückt kam, unbehaglich, und wie er herumdruckste und das endgültige Wort nicht fand. Kleinpeter, das war kein Zweifel, liebte auf seine phlegmatische Art Greta und die kleine Hilde. Aber bestimmt auch liebte er seine Klinik, seinen Beruf, sein München. Er hatte sich an beides gewöhnt, an seine Familie und an seinen Beruf, er hielt das einefest und konnte das andere nicht lassen und schob die Entscheidung, worauf er verzichten sollte, stets von neuem hinaus. Sicher war es ihm, solang er in London war, ganz unmöglich vorgekommen, sich von Greta und dem Kind für immer zu trennen. Aber ebensowenig konnte er sich von seinem Krankenhaus trennen, sowie er erst wieder dort herumwerkelte und Greta nicht mehr leibhaft gegenwärtig war. Das hatte Greta auch gefürchtet, und darum hatte sie alles darangesetzt, in London von ihm ein endgültiges Ja zu bekommen, die Unterschrift unter den türkischen Vertrag. Doch dazu hatte sie ihn nicht bewegen können; er hatte sie mit einer halben Zusage vertröstet, hatte bald die Ausrede gehabt, bald jene, schließlich hatte sie ihn unverrichteterdinge nach Dover bringen müssen, ans Schiff.
Erst auf der Rückfahrt nach London war ihr alles klargeworden. Oskar hatte diese seine Londoner Reise von vornherein als einen Abschiedsbesuch angesehen und nur nicht den Mut aufgebracht, es ihr zu sagen. Schon an seiner brummigen Zärtlichkeit hätte sie das erkennen müssen. Wenn er sich nämlich für Ankara entschieden hätte, dann hätte ihn die Tatsache, daß er für sie ein solches Opfer auf sich nahm, grantig und schwierig gemacht, und er hätte über alles geraunzt. Ein noch viel schlimmerer Beweis aber war das Liebermann-Porträt. Der bequeme Mann scheute es, sich auf Reisen zu belasten. Hätte er die Absicht gehabt, den türkischen Vertrag anzunehmen, dann hätte er das Bild einfach mit dem andern Übersiedlungsgut nach Ankara gehen lassen. Daß er die Mühe nicht gescheut hatte, das Porträt in eigener Person über zwei Zollgrenzen zu schleppen, bewies schlagend, daß er von vornherein entschlossen gewesen war, in München zu bleiben. Er hatte sich für seine Klinik entschieden und gegen sie. Völlig verzweifelt war Greta nach dieser Erkenntnis wieder in London angekommen, hatte das Nötigste gepackt, und da war sie.
Heilbrun hörte sich den trübseligen Bericht an; Gretas Sprechweise, das breite Münchnerisch, das sie ihrem Mannzulieb angenommen hatte, klang ihm jetzt doppelt sinnlos und erbärmlich. Stumm saß er da, wie Greta zu Ende war, und nur mit Mühe fand er ein paar lahme Worte des Trostes.
Wie er dann, endlich, allein war, fühlte er sich krank vor Müdigkeit. Das auch noch. Er hat den guten Willen gehabt, sich vor Trautwein hinzustellen, ein dürftiges Alter auf sich zu nehmen, seine Pflicht zu tun. Aber was ist seine Pflicht? Wenn Greta jetzt den Mann verliert und an ihrem Vater keine Stütze hat, geht sie dann nicht vor die Hunde? Und ist es nicht seine Pflicht, das zu verhindern?
Er weiß es nicht. Er will jetzt auch nicht darüber philosophieren. Er wird seinen müden Kopf auf ein Kissen legen und schlafen. Entscheiden wird er sich morgen.
Er geht zu Bett. Aber er ist übermüdet und übererregt, er findet keinen Schlaf. Er nimmt ein starkes Beruhigungsmittel, und allmählich spürt er auch, wie es wirkt. Er wird jetzt schlafen, lange, und morgen wird er sich entscheiden.
Während er aber darauf wartet, endgültig zu versinken, weiß er, daß er sich selber was vormacht und daß er sich schon längst entschieden hat. Er, der hier liegt und gleich schlafen wird, hat sich und die »P. N.« aufgegeben. Er, vor wenigen Stunden noch zu drei Vierteln ein Held, ist jetzt ein ganzer Lump.
Drittes Buch
Der Wartesaal
Und die Menschen werden verschmachten vor Furcht und vor Warten der Dinge, die da kommen sollen.
Lukas der Evangelist
1
Der blaue Brief und seine Folgen
Sepp hatte das Haus der »P. N.« noch nicht verlassen, als er seine Voreiligkeit schon bereute. So fest hatte er sich vorgenommen, auf keine Herausforderung dieses hinterfotzigen
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