Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
nicht gehen, wahrscheinlich ist es nur Bluff. Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Aber das hab’ ich schon einmal gedacht und bin damit hereingefallen. Vielleicht ist es doch kein Bluff.
In häßlicher Haltung, die Arme eng am Körper, saß er da. »Werden nicht auch Sie mir nervös«, bat er, jammerte er. »Der Mensch, der Trautwein, macht uns alle verrückt. Seien Sie vernünftig. Glauben Sie mir, es ist keine bloße Laune von mir, wenn ich diesen Professor Trautwein draußen haben will. Glauben Sie mir, es muß sein. Helfen Sie mir, lieber Heilbrun, und Sie werden über mich nicht zu klagen haben. Wer mir hilft, dem helfe ich. Wir haben lange zusammengearbeitet, wir haben gut zusammengearbeitet. Die ›P. N.‹ sind eine gute Sache, und sie liegen uns beiden am Herzen. Ich kann mit Trautwein nicht länger zusammenarbeiten, aus vielen Gründen. Es geht nicht, es ist unmöglich. Begreifen Sie mich doch, und lassen Sie mich nicht im Stich.«
Er sprach dringlich, kläglich, gehetzt, seine Sätze hatten den Klang der Wahrheit. Er war sichtlich in einer Zwangslage. Es standen offenbar andere hinter ihm, die Trautwein verderben wollten, und diese andern mußten ihn fest in ihrem Griff haben. Beinahe hatte Heilbrun Mitleid mit Gingold.
Die Geschichte sah schwärzer aus, als er angenommen hatte. Vielleicht wird Gingold, wie die Dinge nun einmal liegen, auch auf ihn, Heilbrun, verzichten, ehe er Sepps Kündigung zurücknimmt. Aber Heilbrun hat sein Wort gegeben, er wird den Kampf durchführen. »Wenn Sepp Trautwein geht, gehe ich auch«, wiederholte er.
»Nein, nein«, zappelte Gingold sich ab, »ich will das nicht gehört haben«, und er hielt sich wahrhaftig die Ohren zu. »Treffen Sie jetzt keine Entscheidung. Überlegen Sie sich’s. Ich gebe Ihnen zwei Tage. Drei Tage. Lassen Sie mich nicht im Stich. Stellen Sie Forderungen. Überlegen Sie sich’s.« Und ehe Heilbrun noch etwas erwidern konnte, verließ er eilends das Büro.
Auch Heilbrun entfernte sich. Er fühlte sich müde, zerschlagen, alt. Er winkte einem Taxi und fuhr nach Haus. Er lehnte den großen Kopf zurück, die Hände hinterm Schädel verschränkt, schloß die Augen, ließ sich von der prallen Sonne bescheinen.
Der klägliche, gehetzte Ton Gingolds wollte ihm nicht aus dem Ohr. Ganz sicher ist es so, daß Gingold Sepp entlassen muß, ob er will oder nicht. Juristisch gesehen, dürfte Gingold in der stärkeren Position sein. Sepp, dieser Trottel, hat es ihm leicht gemacht. Folglich muß Sepp gehen. Folglich kommt die Sache an ihn. Folglich »ist der Bündnisfall eingetreten«, denkt er eine Wendung aus der Diplomatensprache. Folglich muß er selber gehen; denn selbstverständlich wird er sein Wort halten.
Eine idiotische Situation, in die er da hineingeschlittert ist. Weil Gingold und Sepp sich idiotisch benommen haben, muß er, Heilbrun, daran glauben.
Er sah auf den Zähler seines Taxi. Acht Franken fünfzig. Eigentlich müßte er brav mit der Metro fahren. Sechzig Jahre ist man alt, Reichstagsabgeordneter ist man gewesen, Chefredakteur der »Preußischen Post«, die Kartoffelschnapssteuer hat man durchgedrückt, bewirkt hat man, daß Millionen Menschen Jahre hindurch weniger haben hungern müssen, viele Dummköpfe und Schweinehunde hat man untengehalten, und vielen anständigen Kerlen hat man heraufgeholfen, gekämpft und geplagt hat man sich sein Leben lang, und jetzt muß man sich Vorwürfe machen, weil man, müde und verbraucht, ein Taxi nimmt und nicht die Metro. Der Dank derWelt. Und wenn es hochkommt, ist es Mühe und Arbeit gewesen.
Er lehnte zurück, erschöpft; die Sonne, die ihm zuerst wohlgetan hatte, begann ihn zu stören. Leicht wird er’s nicht haben, wenn er auf seine Bezüge aus den »P. N.« verzichten muß. Er wird den Riemen anziehen müssen. Zweihunderttausend werden es sein, die er jetzt schuldet. Egon Franck wird ihm vielleicht noch einmal fünfzigtausend pumpen. Aber eine angenehme Stunde wird es nicht sein, wenn er ihn darum angeht, und sie werden auch rasch alle sein. Ein Glück, daß sich wenigstens seine Frau allein durchschlägt und seine Hilfe ein für allemal abgelehnt hat. Aber seine Tochter Greta und das Kind kann er in London nicht ohne Zuschuß lassen; mit ihrem Mann, Doktor Kleinpeter, dem »Arier«, kann sie nicht zusammen leben, wenn er nicht seine Klinik verlieren soll, und er kann ihr aus Deutschland nichts schicken, wegen des Devisenausfuhrverbots. Was soll werden, wenn er die »P.
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