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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Gingold zu reagieren, und dann, gleich, nach wenigen Minuten schon, hatte er ihm seine Stellung hingeschmissen. Natürlich war es ein ungeheurer Spaß gewesen, eine rechte Herzenslabung, wie er dem Hundsknochen, dem damischen, großkopfig erklärt hatte: »Ich geh.« Aber diese Herzenslabung war zu teuer erkauft; wenn man sie maß an dem Unheil, das er dadurch über sich und Anna heraufbeschworen hatte, dann war sie zehnmal überzahlt.
    Während des ganzen Nachhausewegs plagte ihn das schlechte Gewissen. Da hatte er Anna protzig erklärt, wie fest er in der Redaktion sitze. Jetzt war die Bescherung da. Schneidig, mit einem stolzen Hieb, hatte er den Ast abgehaut, auf dem er gesessen war.
    Es war ungewohnt früh, als er ins Aranjuez kam, und weder Anna war zu Hause noch der Bub. Erfüllt von Unmut hockte er in dem neuüberzogenen Sessel; Grimm über die eigene Torheit fraß sich immer tiefer in ihn ein. Er ist einfach lebensunfähig, er wird niemals mehr gescheit. Immer muß er den eigenen Kopf durchsetzen, statt daß er auf Anna hört. Zuerst hat er ihr durch seine Bockbeinigkeit ihr London vermasselt, und nun schlägt er sich noch selber die jämmerliche Stellung bei den »P. N.« kaputt. Jetzt kann Anna zusehen, wie sie sich und ihn und den Buben über Wasser hält.
    Er stellt sich vor, wie er, wenn er seine Eselei nicht begangen hätte, jetzt auf der Redaktion säße, die fingierte Wagner-Redeein letztes Mal überfeilte und Erna die endgültige Fassung diktierte. Er ist voll von Wut, daß diese Rede nun überhaupt nicht erscheinen soll. »Da stinkt er mir, da raucht er mir«, sagt er vor sich hin, absichtlich vulgär, und schaut mit bösem Blick auf die schöne Wanduhr, deren Ticken ihn heute so verdrießt, wie es ihn sonst anregt.
    Das ist ja alles nicht wahr, zuckt plötzlich sein eingeborener, leichtfertiger Optimismus auf. Das ist ja alles bloß Kasperltheater. Unmöglich können sie so ein unbedachtes Wort als eine endgültige Kündigung betrachten. Das wäre ja noch schöner. Damit käme auch der Gingold vor keinem Gericht durch. Was ich gesagt habe, das war eine façon de parler, kein Rechtsakt. Heilbrun wird die Geschichte im Handumdrehen einrenken, vielleicht hat er’s schon getan!
    Damit beruhigt er sich und sieht auf einmal nur mehr die guten Seiten dessen, was sich heut ereignet hat. Er hat einfach unvermutet ein paar Stunden Freizeit bekommen. Er freut sich, wie er sich als Bub über eine Hitzvakanz gefreut hat. Er setzt sich ans Klavier. Jetzt ist er gut in Form, jetzt hilft ihm das Ticken der Uhr, Musik kommt ihm, die Melodie, endlich die rechte, für eines der Lieder Walthers von der Vogelweide, eine Melodie, die ihm schon ewig im Kopf herumgeht. Er lacht verschmitzt. Er hat sich einfach auf schlaue Art einen halben Tag für seine Musik frei gemacht, das ist alles. Ja, sein Instinkt, der ist schon recht.
    Die Verse, die dem Vogelweider da eingefallen sind, die haben es in sich, die sind ihm aus dem Herzen gesprochen, und es ist fein, daß er seine Musik jetzt zu Papier bringen kann. Leise vor sich hin krächzt er die Verse:
    »Ja, wenn Herr Walther kröche,
    Wie er euch dann willkommen wär.
    Was gäbet ihr ihm dann an Ehr.
    Allein er fragt nicht, ob es lohnt.
    Und reimt sich’s auch wie Arsch und Mond:
    Herr Walther singt doch, was er will.«
    Ja, so wie Herrn Walther geht es allen; wenn man nicht kriecht, kommt man zu nichts. Aber es bleibt halt das einzig Wahre, das zu singen, was man will: »Das Lied, das aus der Kehle dringt.« Sepp bleibt stehen, nachdenklich, die Lippen verpreßt, so daß der zusammengekniffene Mund angestrengt und ein wenig komisch ausschaut; dann wieder läuft er hin und her. Er tastet sich am Klavier seine Melodie zusammen, schreibt, krächzt, ist ungeheuer vergnügt.
    So findet ihn Anna. Er erwartet, sie werde ihn fragen, warum er schon so früh zu Hause sei. Aber sie ist einsilbig, versponnen in ihre eigenen Gedanken. Das ist selbstverständlich; es muß ihr natürlich nahegehn, daß ihr geliebtes Londoner Projekt geplatzt ist. Wie bringt er ihr die Geschichte mit Gingold am besten bei? Vielleicht, nachdem sie ihn nichts fragt, ist es das klügste, er erzählt ihr gar nichts. Sie ist geneigt, die Dinge schwarz zu sehen und sich überflüssige Sorgen zu machen; dabei ist der Zwischenfall wahrscheinlich schon beigelegt. Wozu sie noch damit behelligen?
    Seine Laune, durch solche Erwägungen vorübergehend getrübt, hellt sich wieder auf. Er hat ein kleines

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