Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
wie eine Wand zwischen ihnen auf, es wurde ein trister Sonntag, und beide waren froh, als er vorbei war.
Am Montag früh ging sie an ihre Arbeit, Hanns in sein Lyzeum, Sepp blieb allein zu Hause.
Er beschloß, in die Redaktion zu gehen wie immer und zu tun, als wäre nichts vorgefallen. Er wird sich mit Heilbrun aussprechen. Der wird ihm Vorwürfe machen, er wird sie ohne Widerrede hinnehmen, er hat sie verdient. Er hat ernstlich beschlossen, sich zu bessern.
Als er im Begriff war, das Zimmer zu verlassen, kam der Briefträger. »Eine Unterschrift, bitte«, sagte der Mann undhändigte ihm einen eingeschriebenen Brief aus. Auf dem Umschlag waren als Absender die »P. N.« angegeben.
Sepp hielt den Brief in der Hand, zögernd, unlustig erstaunt. Ist man ihm noch Geld schuldig? Will man ihm mitteilen, daß man sein Gerede nicht ernst nehme und daß man auf seine weitere Tätigkeit rechne? Aber wenn ihm die »P. N.« etwas zu sagen haben, warum telefonieren sie ihm nicht?
Wozu grübelt er so lange darüber nach, was der Brief enthalten mag? Er braucht ihn doch nur zu lesen.
Allein er öffnet ihn nicht, er stand da, in sich gekehrt, in unschöner Haltung, beschaute den graubläulichen Umschlag und dachte: Was für ein häßlicher Aufdruck. Man könnte für das gleiche Geld etwas viel Schöneres haben. Merkwürdig, daß sie mir schreiben.
Endlich, mit plötzlicher Ungeduld, riß und schnipfelte er den Umschlag auf. Der Brief lautete: »Sehr geehrter Herr Professor. Der Ordnung halber beehren wir uns, Ihnen schriftlich zu bestätigen, daß wir Ihre Kündigung, ausgesprochen am 8. August d. J., zur Kenntnis genommen und angenommen haben. Ihre Bezüge, berechnet bis zum 31. August d. J., gestatten wir uns, Ihnen gleichzeitig anzuweisen. Sie belieben sie an unserer Kasse in Empfang zu nehmen oder uns mitzuteilen, wohin Sie sie gesandt wünschen. In vorzüglicher Hochachtung Verlag und Redaktion der ›Pariser Nachrichten‹, gez. Gingold, Heilbrun.«
Sepp las, langsam, ohne daß das Gelesene ihm recht ins Bewußtsein drang. Er beschaute die Unterschriften, die kaufmännische, steife Gingolds und die schwungvolle, fahrige Heilbruns. »Hm, hm«, sagte er vor sich hin, und: »Da schau her.« Er las nochmals. »Das ist aber eine Überraschung«, sagte er. Jetzt hatte er begriffen, was in dem Brief stand, aber er wollte es nicht wahrhaben, er glaubte es nicht.
Am meisten quälte und bedrückte ihn die Unterschrift Heilbruns. Vielleicht ist sie gefälscht. Natürlich, so ist es, der Gingold hat die Unterschrift Heilbruns einfach nachgemacht. So einem Schieber und Halunken ist alles zuzutrauen.Sepp kannte die Unterschrift Heilbruns, er prüfte die des Briefes. Sie war gut nachgemacht.
Merkwürdig. Merkwürdig, daß ihn der Heilbrun im Stich gelassen hat. Er hätte Hals und Bein verschworen, daß der Heilbrun zu seinem Wort steht. Er ist ein Saujud, der Heilbrun. Solche Juden haben’s möglich gemacht, daß der Hitler hochkam. »Solche Saujuden«, sagt er auf einmal laut, und denkt an Gingold und Heilbrun, und nochmals, ingrimmig: »Solche Saujuden.«
Er fühlt sich plötzlich furchtbar müd, er kann sich kaum aufrecht halten, er setzt sich in den Wachstuchsessel. Auf dem Tisch drüben liegt der Brief, graubläulich, ein unansehnliches Stück Papier. Der blaue Brief, denkt er; es waren aber die Briefe, auf denen Behörden zu Zeiten des Kaiserreichs Entlassungen mitzuteilen pflegten, auf blaues Papier geschrieben gewesen, und die Wendung »der blaue Brief« hatte sich bis ins Dritte Reich erhalten. Jetzt ist also alles aus, denkt er weiter, jetzt kann ich mir nichts mehr vormachen. Anna hat wieder einmal recht gehabt. Sie hat halt immer recht. Es ist ein Saustall. Wie ich vor Anna dastehe.
Ob sie es vielleicht deichseln kann, daß man doch noch nach London geht? Sie ist so tüchtig. Einen Schmarrn. Es ist zu spät. Sie hat mir lang und breit erzählt, warum man sich gerade vor ein paar Tagen hat entschließen müssen. Jetzt kann auch sie es nicht mehr schaffen. Ich habe mich benommen wie ein Hornochs.
Wirtschaftlich ist es das Ende, soviel steht fest. Jetzt geht es bergab, unaufhaltsam. Man proletarisiert. Und wenn man proletarisiert, ist da was dabei? Man wird, wie Tschernigg war oder Harry Meisel. Macht das was? Tschernigg hat gute Verse geschrieben in all seinem Dreck und Speck, und das »Sonett 66«, das hat sich gewaschen, das ist nicht von Pappe. Da könnte ich mich vom Schreiben [ernähren], auch als Proletarier,
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