Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
wenn ich so was fertig brächte. Was man alles zusammenspinnt. Dabei ist das Resultat klar wie Kletzenbrühe: es ist alles hin.
Wenn ich bis jetzt einen schlampigen Anzug getragen habe,dann hab ich’s mir leisten können, weil Anna hinter mir stand und eine Stellung und ein bißchen Geld. Wenn ich mich nicht anständiger angezogen habe, dann einfach, weil es mir zuviel Mühe gemacht hat, und etwas Snobismus nach unten war wahrscheinlich auch dabei. Von jetzt an kann ich’s mir nicht mehr leisten. Von jetzt an muß der Sepp Trautwein repräsentieren, wenn er noch einen Hund hinterm Ofen vorlocken will.
Er stand auf, mit langsamen, automatischen Bewegungen, wie getrieben oder wie im Traum. Es war ein Glück, daß Anna nicht da war, als der Brief kam. Er hätte einfach nicht gewußt, wohin schauen, so hätte er sich geschämt. Er weiß auch jetzt nicht, wie er ihr unter die Augen treten soll.
Er ging ins Badezimmer. Rasierte sich, sorgfältig, langsam, mit merkwürdig abwesenden Bewegungen. Dann zog er sich aus, und während er sonst Kleider und Wäsche achtlos auf einen Stuhl oder sonstwohin zu werfen pflegte, faltete er diesmal alles säuberlich zusammen und brachte es dort unter, wo es hingehörte. Dann zog der sich von Kopf zu Fuß neu an, mechanisch.
Dann verließ er das Hotel Aranjuez, um in der heißen Stadt Paris herumzugehen, ohne Ziel und ohne Zweck.
Anna kam früher nach Haus als sonst. Wohlgemuth hatte ihr den Nachmittag freigegeben, damit sie sich nach einer neuen Stellung umschauen könne. Sie hatte bei einem Komitee für Emigrantenhilfe vorgesprochen, mit Monsieur Pereyro telefoniert, sich bei einem Rechtsanwalt und bei einem Geschäftsmann vorgestellt. Man hatte Bereitwilligkeit gezeigt, sie zu engagieren, aber Bedenken wegen der fehlenden Arbeitskarte. Sie war dann, wegen der Arbeitskarte, schnell noch einmal auf die Präfektur gefahren. Doch sie hätte sich nicht abzuhetzen brauchen; sie hatte endlos lang herumstehen müssen, um schließlich einen nichtssagenden Bescheid zu erhalten.
Die Lauferei und Fahrerei durch die heiße Stadt, das Gewarte auf dem Polizeibüro, die ständige, angespannte Bemühungum eine liebenswürdige Miene, die Sinnlosigkeit dieses ganzen Treibens, das nahm einen mehr her als angespannte Arbeit. Erschöpft kam Anna im Aranjuez an. Sie riß ihr Kleid herunter, schloß die Fensterläden, warf sich aufs Bett.
Das Zimmer war schwül, und wenn man das Fenster öffnete, wurde es nur schlimmer. Sie lag nackt auf dem Bett und döste, ihr war heiß und ungemütlich. Endlich schlief sie ein, doch es wurde kein wohltätiger Schlaf.
Sie war in Deutschland. Sie ging zu ihrer Mutter, mit Sepp. Mutter konnte Sepp nicht leiden, auch war sie schon lange tot. Allein es blieb ihnen nichts übrig, als zu Mutter zu gehen, überall sonst hätten die Nazi sie gefunden, aber bei Mutter haben sie schon gesucht und werden also kein zweites Mal suchen. Sie nahmen die Straßenbahn. Jetzt war es gut, daß Sepp so dreckig und schlampig angezogen war, da kamen viel weniger Leute darauf, daß er Sepp war, und es erkannte ihn auch niemand. Dann mußte man umsteigen, in die 24. Da war neue Gefahr, an der Haltestelle sind immer so viele Leute, man kann leicht erkannt und geschnappt werden. Und die 24 kam nicht, und wenn die Mutter nicht allein ist, dann ist es gefährlich, schon Lene, das Mädchen, ist gefährlich. Und dann standen sie vor der Wohnungstür. Aber Sepp sagte auf einmal, das sei alles ganz gehirnrissig, und jetzt kehre er um und fahre ins Odeon und gehe in seine Klasse. Sie war verzweifelt und beschwor ihn und schüttete einen ganzen Sack von Argumenten vor ihm aus. Aber da hatte er den Lift schon heraufgeholt, sie drückte gleich auf den Knopf und schickte, ehe er einsteigen konnte, den Aufzug zurück. Er lachte nur hämisch und begann, die Treppe zu Fuß hinunterzugehen. Es ist zum Verzweifeln, er bleibt immer der gleiche Dickschädel. Und jetzt, sie hat es ja gewußt, kam ihm auch einer auf der Treppe entgegen und sagte: »Ah, da sind Sie ja, Herr Professor.« Es war ein Schüler von ihm, sie kannte ihn, aber an seinen Namen konnte sie sich nicht erinnern. Und jetzt kamen sie wieder herauf, und der Schüler, Holzmann oder so hieß er, da war es ihr also doch eingefallen, zwinkerte ihr und Seppfrech, vertraulich und gemein zu und sagte: »Ich kann mir schon denken, was los ist; aber haben Sie keine Angst, ich verpetze Sie nicht.« Allein sie wußte, das war nur eine Falle. Da ging auch
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