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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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schon wieder der Lift, und jetzt kommen sie sicher und holen ihn. Der Lift hielt mit einem dumpfen Geräusch, die Tür ging auf, und sie erwachte, schwitzend.
    Sie schaute um sich und stellte aufatmend fest, daß sie im Hotel Aranjuez war, in der Stadt Paris, und nicht im Dritten Reich, und daß sie keine Angst zu haben brauchte, wenn der Lift ging. Solche Träume, man sei in Deutschland und verfolgt von den Nazi, suchten sie oft heim, und fast alle Emigranten erzählten ihr von ähnlichen Träumen. Dies gehörte zu den guten Augenblicken der Emigration – es waren ihrer nicht viele –, daß man aufwachte und feststellte, man sei nicht in der Heimat.
    Sie machte die Fensterläden auf. Jetzt, am Abend, bekam man doch etwas mehr Luft. Sie schickte einen hausfraulichen Blick durchs Zimmer. Sepp hatte eine so unglaubliche Neigung, alles in Unordnung zu bringen. Der Schreibtisch war überladen wie stets, sie pflegte dort nur sehr behutsam Ordnung zu machen, um ihm nichts zu verräumen. Das graubläuliche Kuvert mit dem Aufdruck »Pariser Nachrichten« konnte sie ruhig in den Papierkorb werfen. Oder hat sich Sepp eine Notiz darauf gemacht? Nein. Der dazugehörige Brief lag offen da. Sie nahm ihn, sie las, unwillkürlich, ohne Neugier; Sepp hatte vor ihr keine Geheimnisse.
    Sie las, sie begriff.
    Sie hat immer gewußt, untrüglich, daß es so kommen wird. Dennoch, wie es jetzt dasteht, mit der Maschine geschrieben, erschrickt sie, daß ihr die Knie zittern. Sie lehnt am Schreibtisch, die Hand mit dem Brief hat sie sinken lassen, sie denkt nicht daran, sich zu setzen. »Ich hab es ja gewußt«, konstatiert sie, und in all ihrer Verzweiflung ist eine kleine, triste Genugtuung, daß sie recht gehabt hat.
    Jetzt ist also alles aus, stellt sie fest, sachlich.
    Dann aber bäumt sie sich auf, sie will nicht klein beigeben.Wieso denn alles aus? Es ist noch Geld da von dem Honorar der Rundfunkaufführung, die Gratifikation von Wohlgemuth steht auch noch aus, bis zum Winter kommt man bequem durch, und bis dahin hat sie bestimmt eine neue Stellung gefunden.
    Schön und gut. Ginge es nur um sie und Hanns, dann hätte sie auch keine Angst. Aber mit Sepp ist es so ungeheuer schwierig. Er sträubt sich gegen jede vernünftige Regelung, er verdirbt alles, es steckt in ihm ein unheimlicher Zerstörungstrieb, gegen den man nicht ankommt. Daß er so verschlampt und verdreckt, daß er nicht nach London will, daß er sich Freunde aussucht wie Tschernigg und Harry Meisel und Ringseis, das alles kommt aus der gleichen, finsteren Tiefe. Angefangen hat es, als er Deutschland verließ, als es ihn aus München forttrieb. Er läßt sich fallen, er will fallen. Es ist, als hätte man ihm mit seinem München die Wirbelsäule fortgenommen, und nun sackt er in sich zusammen.
    So spürt es Anna, sie spürt es mehr, als sie es denkt, aber diese Gefühle fallen sie tiefer und gefährlicher an als Gedanken. Wie wohl einer zunächst standhält und später erst, wenn der Stoß lange vorbei ist, zu zittern beginnt, so packt sie erst jetzt die ganze Wut und Trauer über das Geschehene.
    Mühsam schleppt sie sich zu ihrem Bett, da hockt sie, vornübergebeugt, ausgeleert. Sie starrt vor sich hin auf den schäbigen Bodenbelag. Das große Loch in dem Belag ist noch immer nicht geflickt und die Holzplanke darunter nicht ausgebessert. Sie hat es Herrn Mercier schon fünf- oder sechsmal gesagt, aber er rührt sich nicht, er wird es nicht reparieren lassen, ehe sich nicht einer einmal den Fuß gebrochen hat.
    Der Brief ist heute morgen angekommen. Heute haben wir Montag. Gestern, Sonntag, war Sepp nicht auf der Redaktion. Den Krach muß es also schon Sonnabend gegeben haben, schon Sonnabend muß er seine Stellung hingeschmissen haben. Darum also war er die ganze Zeit über so sonderbar. Aber warum hat er ihr nichts gesagt? Was ist das für eine feindselige Verstocktheit? Wie hat er es fertiggebracht, dieganzen, endlosen eineinhalb Tage und zwei Nächte neben ihr her zu leben, zu sitzen, zu liegen, zu schwatzen, zu schlafen, zu essen: und nichts zu sagen? Dieses Wichtigste vor ihr zu verstecken, trotzig, bösartig? Gibt es denn nichts Gemeinsames mehr zwischen ihnen? Sind sie so weit auseinander? Sind sie Feinde?
    Das ist ja nicht mehr menschlich, wie er sie behandelt. Hat er, wie er den Krach gemacht hat, mit keinem kleinen Gedanken an sie gedacht? Er hat doch wissen müssen, wie furchtbar sie das treffen muß, was er da angerichtet hat. Vielleicht hat er es sogar ihr

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