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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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überhaupt noch Ordnung machen, vorher. Man soll nicht sagen, sie sei fortgelaufen wiedas Schwein aus dem Stall. Es war ein guter Gedanke, daß sie die Uhr schon aufgezogen hat; so kann sie sich die Arbeit jetzt sparen.
    Sie geht ins Badezimmer. Sie stellt die Eier und die Pfanne wieder zur Seite, es sieht ganz ordentlich aus. Es ist gut, daß sie nichts gegessen hat; da wird ihr weniger leicht übel.
    Sie läßt Wasser in die Badewanne laufen. Ja, der Schlauch reicht bequem hinüber. Herr Mercier wird Sepp bestimmt mindestens das Doppelte zuviel aufrechnen für das Gas. Aber darum kann sie sich jetzt nicht kümmern. Es tut wohl, zu hören, wie das Wasser plätschert. Das hat sie immer gern gehabt.
    Sie nimmt die Schachtel mit den Schlafpillen. Wie viele soll sie nehmen? Sedormit-Tabletten sind leicht, aber sie wird doch nur drei nehmen, höchstens vier, sonst kann sie sie nicht vertragen und muß sich übergeben. Sie löst sie in einem Glas Wasser auf. Langsam und ordentlich rührt sie herum, bis sie sich ganz gelöst haben, dann trinkt sie. Es schmeckt bitter. Sie will nicht diesen schlechten Geschmack im Mund behalten. Es ist noch Rotwein da, eine angebrochene Flasche. Sie trinkt einen Schluck, setzt ab, lächelt, trinkt mehr, das darf sie sich heute gönnen. Dann, säuberlich, spült sie das Weinglas, auch das Glas, in dem sie das Schlafmittel genommen hat, und den Löffel, und stellt alles zurück, wohin es gehört.
    Sie geht wieder hinüber in die Stube. Mit der Schreibmaschine hapert es schon wieder. Dafür muß jetzt eben Hanns sorgen. Der graubläuliche Brief der »P. N.« liegt auf dem Boden, sie hebt ihn auf, faltet ihn, steckt ihn in ein Buch, so daß er gut sichtbar ist, aber nicht mehr herunterfallen kann. Das Buch da liegt aufgeschlagen. Sie hat schon vorhin das Bedürfnis verspürt, es zu schließen; Unordnung ärgert sie. Wieder hebt sie die Hand, das Buch zuzumachen. Dann unterläßt sie es, vielleicht hat es Sepp mit Absicht offen liegenlassen.
    Sie schaltet das Radio ein. Sie muß ein bißchen suchen, ehe sie was Anständiges findet. Aber da kündigen sie Mozarts»Kleine Nachtmusik« an, und sie ist glücklich. Sie schaltet das Radio auf große Lautstärke; denn sie muß die Tür zum Badezimmer schließen, und sie will die Musik durchhören.
    Sie geht zurück ins Badezimmer. Nun ist die Wanne so gefüllt, wie sie sie haben wollte. Sie sieht ihr Bild im Spiegel. »Eine Parodie ihrer selbst?« So schlimm ist es doch nicht. Übrigens hat sie einmal gelesen, daß Tote, die sich mit Leuchtgas vergiftet haben, blühend ausschauen, unglaubhaft lebendig. Es wäre schön, wenn Hanns ein gutes Bild von ihr im Gedächtnis behielte. Er ist gutmütig, er wird sie schon nicht mit bösen Augen anschauen.
    Sie dreht den Hahn auf, steigt in die Wanne, legt sich ins Wasser. Es ist recht heiß, ein bißchen schauert sie vor der Hitze. Aber dann wird ihr wohl, sie zieht die Knie hoch wie ein Säugling und entspannt sich.
    Schön ist es, so zu kauern, halb liegend, und es quält einen kein Gedanke mehr: das solltest du heute noch tun, und das liegt morgen vor dir, und überhaupt mußt du das tun und jenes lassen. Alles liegt hinter einem, und das Wasser ist angenehm warm. Es gibt nichts Schöneres, als so wohlig müde zu sein und ohne Verpflichtung.
    Die ganze Zeit noch hat es so ausgesehen, als wäre sie stark und intakt. Alle haben sie darum gelobt, aber sie haben sich geirrt; diese zwei Jahre haben sie zermürbt, und es brauchte nur ein einziger starker Stoß zu kommen, da fiel das Ganze zusammen. Süßlich und widerwärtig ist dieser Geschmack, es kostet Überwindung, den Schlauch im Mund zu lassen. Am besten ist es, wenn sie ihn mit den Zähnen hält. Achtunddreißig Jahre, das ist viel, und das ist nicht viel, wie man’s nimmt. Was Sepp sagen wird? Er tut ihr leid, aber sie kann ihm nicht helfen. Sie hat ihn geliebt, soweit ein Mensch einen andern lieben kann. Und auch er hat sie »gemocht«. Sie ist nicht schuld, er ist nicht schuld. Es sind die Verhältnisse. »Doch die Verhältnisse, die sind nicht so.«
    Sie hat Mitleid mit sich. Ist das sentimental? Wenn es sentimental ist, dann erlaubt sie sich eben, sentimental zu sein.
    Die nebenan klopfen, auch die unten, wahrscheinlich weil ihnen das Radio zu laut ist. Dabei ist die »Kleine Nachtmusik« gar nicht laut; schön ist sie und gerade recht in der Tonstärke, so wie sie sie hier drin hört.
    Aber es ist gar nicht die »Kleine Nachtmusik«, es ist Sepps

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