Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Wiesener.
Heydebregg befestigte die Knöpfe in seinem Hemd. Wie unvergleichlich leichter und schneller das geht als bei steifen Hemden. Wieder lächelte er, teils weil er befriedigt war über die Bequemlichkeit des Einführens der Knöpfe, teils weil ihm Wieseners schlechtes Gewissen zupaß kam. Ihm war, als ob es seine Anwesenheit in Arcachon sei, die Wiesener verhindere, zu Madame de Chassefierre zu kommen, undeutlich schwebten ihm biblische Erinnerungen vor, David, den Urias der Bathseba beraubend, und ähnliches. Er fühlte sich vor Wiesener in Schuld. Deshalb kam es ihm gelegen, daß nun auch er Wiesener etwas zu verzeihen hatte. Wie wir vergeben unsern Schuldigern, dachte er und zog den Rock an.
Er betrachtete den wuchtigen Herrn, der ihm aus dem Spiegel entgegenschaute. Nein, er hat selbst in diesem Capua an Würde nichts eingebüßt. Übrigens denkt er auch nicht daran, Wiesener etwa die Strafe ganz zu erlassen. Nur: sie wird gelind ausfallen, die Strafe.
Schwer also traf Heydebregg die Gründung der »Pariser Deutschen Post« nicht. Aber aus dem Kopf ging ihm die Sache auch nicht. Er war während des Abendessens nicht so unbeschwert wie sonst; Lea und Raoul mußten feststellen, daß er mit seinen Gedanken nicht in Arcachon war.
Auch seine Nachtruhe war getrübt. Mit dem Auftauchen der »P. D. P.« waren seine Ferien zu Ende, die Politik hatte ihn wieder.
Am nächsten Tag, schon sehr früh, begann er zu telefonieren, mit Paris, mit Berlin, selbst mit Berchtesgaden. Mißbilligendwird später der Diener Emile wahrnehmen, welch hohe Telefonrechnung dieser Logiergast hinterlassen hat. Heydebregg selber belastete es, daß auf solche Art Reich und Partei einer nicht ganz Reinrassigen erhebliche Ausgaben zumuteten. Aber er sah keine Möglichkeit, der Dame die so erwachsenen Spesen zurückzuzahlen; noch so kostbare Blumenspenden waren ein schwacher Entgelt.
Der telefonische Meinungsaustausch hatte zur Folge, daß er sich entschloß, noch am gleichen Tag abzureisen, und zwar direkt nach Berlin, ohne Aufenthalt in Paris, ohne Aussprache mit Wiesener.
Er verabschiedete sich von Lea. Ihr fiel auf, daß er sich auf einmal wieder in den steifen, korrekten Dickhäuter seiner Pariser Anfänge zurückverwandelt hatte; selbst sein Französisch klang wieder mehr ostpreußisch. Die weißlichen, stumpfen Augen unter den fast wimperlosen Lidern richtete er auf Lea, machte seine marionettenhafte Verbeugung, sagte: »Es war eine besonders angenehme Zeit, Madame, die ich auf Ihrem Tusculum verbringen durfte. Gestatten Sie mir, Ihnen zu danken.« Beinahe hätte er gewohnheitsmäßig hinzugefügt: Im Namen des Führers und der Partei.
Dann fuhr er nach Paris, und von dort flog er sogleich weiter nach Berlin.
Massig saß er im Flugzeug, während das nordfranzösische Land unter ihm wegglitt. Er hatte schon viele Flugreisen gemacht, aber heute zum erstenmal nahm er in sein Bewußtsein auf, wie leer das Land, auch dichtbesiedeltes, sich ausnimmt, wenn man es von oben beschaut. Nichts als Wald und Feld und Flur. Der Mensch hat nicht vermocht, seiner Erde viele Spuren aufzudrücken; überblickt man ein größeres Stück von ihr, dann verschwinden sie vollends. Später aber, als Heydebregg auf die Toilette ging und durch das Loch Hügel und Wälder heraufgrüßen sah, verwarf er diese defätistischen Betrachtungen, und stolz statt dessen dachte er: Wie herrlich weit doch haben wir’s gebracht.
Das Sein schafft das Bewußtsein? Unsinn: das Bewußtseinschafft das Sein. Vor wenigen Stunden erst ist er von Arcachon aufgebrochen, und schon ist es so weit entfernt wie Yokohama, versunken und vergessen. Nichts mehr ist für ihn da als die Stadt Berlin, der er zufliegt, der er näher kommt, drei Kilometer jede Minute.
Lea hatte Heydebregg nicht ungern bei sich gehabt, aber sie sah ihn mit beinahe mehr Freude scheiden als Bedauern. Sie hoffte, es werde sich nun, da sie wieder allein waren, das gleiche freundschaftlich vertraute Verhältnis zu ihrem Jungen herstellen wie zu Beginn dieses Sommers. Sie liebte Raoul sehr in dieser Zeit und war stolz auf ihn. Nachdem er sich eine Weile offenbar böse mit seiner Enttäuschung hatte herumschlagen müssen, war er jetzt sichtlich darüber weggekommen. Er sah großartig aus, so, daß man sein Gesicht schwer vergaß; wenn er über die Straße ging, fiel er jedermann auf, und die Frauen wandten sich um nach dem jungen Menschen mit dem schönen, finstern, bedeutenden Kopf.
Raoul aber hatte in diesen
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