Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
letzten Wochen von Arcachon wenig Aug für Frauen. Auch für die Mutter hatte er nicht viel Zeit; kaum daß er bei den Mahlzeiten mit ihr zusammen war und zuweilen eine Partie Schach mit ihr spielte oder eine Stunde Tennis. Sonst war er fast immer allein, am Strand oder auf dem Meer. Er sperrte sich vor der Mutter nicht eben zu, wie er es in den letzten Pariser Monaten getan hatte, allein er war auch nicht so aufgeschlossen wie in den ersten Wochen von Arcachon. »Verzeih«, sagte er ihr einmal in seiner netten, höflichen Art, »wenn ich zuweilen ein bißchen zerstreut bin. Ich arbeite jetzt viel.« – »Was arbeitest du denn, mein Junge?« fragte sie. »Verzeih«, antwortete er, »wenn ich dir das jetzt nicht sage. Aber sowie es in einem Zustand ist, daß man was damit anfangen kann, sollst du es sehen.«
An einem dieser arbeitsamen Tage des späten August wurde Raoul aus einem Badeort der Normandie angerufen. Am Telefon war sein weiland Freund Klaus Federsen. Raoul werde sich wundern, erklärte er in gewundenem, papierenem Französisch,seine, Klausens, Stimme zu hören. Aber er erachte es für richtig, ihn als ersten wissen zu lassen, daß jene Jugendtagung nun doch stattfinden werde, und er, Klaus Federsen, sei Führer der deutschen Delegation.
Er machte eine Pause, offenbar auf eine Antwort wartend. Doch Raoul antwortete nicht. Er stellte sich den früheren Kameraden gut vor, den roten, stichelhaarigen Kopf mit dem schmutzigblonden Haar, die dicke Nase, die kleinen Augen, den breiten, untersetzten Körper. Er hatte, Raoul, zuerst seine gewohnte lässige Haltung gewahrt, jetzt aber schauten seine grüngrauen Augen keineswegs mehr gelassen, und seine Hand spannte sich hart um den Hörer. Allein er bezwang sich, schwieg, wartete.
Klaus Federsen hatte gehofft, der andere werde zornig ironisch aufbrausen; daß er schwieg, brachte ihn aus dem Konzept. Glücklicherweise hatte er noch ein paar Sätze vorbereitet. Er bedaure, fuhr er fort, daß es trotz besten Willens aus sattsam bekannten Gründen nicht möglich gewesen sei, Raouls Designierung durchzudrücken. Er, Klaus, wäre glücklich gewesen, einen Kerl wie seinen Freund dem Reichsjugendführer Baldur von Schirach vorzustellen. Der sei knorke und habe Sinn für Jungen wie Raoul.
Jetzt mußte der Franzose doch endlich was sagen. Das Gespräch kostete schon mindestens dreißig Franken, und der Affe gab noch immer keinen Ton von sich. Er halte es für angebracht, mußte, sich windend, Klaus wiederholen, Raoul als dem eigentlichen Urheber der Idee sein Bedauern auszusprechen, daß die Geschichte mit seiner Designierung so danebengegangen sei. Vulgäre Ironie brach durch das gespielte Mitleid.
Raouls Stimme, als er jetzt endlich erwiderte, war tief und sanft wie gewöhnlich. »Nett, daß du mir das mitteilst«, sagte er, er sprach deutsch. »Es wird dich vielleicht interessieren, daß wir hier bei uns Herrn Heydebregg als Sommergast hatten, euern Parteigenossen und Sektionsführer oder wie sonst ihr ihn nennt«, redete er ruhig weiter und wußte, daß er damit den andern geschlagen hatte. »Übrigens habe ich zur Zeitwenig Sinn für Politik, ich stecke ganz in der Literatur. Wie steht es mit deinen Künsten, mein Lieber?« fragte er voll freundschaftlicher Herablassung. »Bist du vorangekommen mit deiner Schwimmerei an deinem Strand?«
Klaus erwiderte etwas Gleichgültiges, auch er geriet jetzt ins Deutsche, wiewohl er sich eisern vorgenommen hatte, nur französisch zu sprechen. Saure Trauben, dachte er, aber er kam sich gedemütigt vor, es war ihm leid um das Geld, das er an das Telefongespräch verschwendet hatte, und voll geduckten Zornes dachte er an Raouls fleischloses, herzförmiges, hochmütiges Gesicht.
Hätte Klaus nur ein paar Franken mehr an das Gespräch gewendet, dann wäre er auf seine Rechnung gekommen. Denn dann hätte Raoul die Stimme nicht länger gehorcht, die Erbitterung wäre ihm durchgegangen, und Klaus hätte gemerkt, daß das Gesicht des Verhaßten keineswegs hochmütig war, sondern verzerrt von Wut. Wohl nämlich hatte sich Raoul in diesen letzten Wochen hoch über die vergangenen Dinge gestellt, aber so hoch doch nicht, daß ihm nicht Klaus Federsens Mitteilung das Innerste aufgestört hätte. Mit einemmal waren alle die abgelebten Gefühle wieder da, die sinnlose Wut über die verpfuschte politische Karriere, der Haß gegen den Mann, der ihm das alles eingebrockt hatte, der Durst, es ihm zu vergelten. Von neuem durchfegten Raoul
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