Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
blieb äußerlich, es war eine traurige Verwandlung. In seinem Herzen war er der Individualist geblieben, der Anarchist, der er gewesen, und er wußte nach wie vor, daß die Umwelt, in die er sich geflüchtet hatte, faul war, bestimmt zum Untergang, wert des Untergangs.
Es war Oskar Tschernigg leid gewesen, daß er die Walther-Lieder zum erstenmal inmitten dieser eleganten Gesellschaft hören mußte, daß Sepp sie ihm nicht wie früher allein und als erstem vorgespielt hatte. Froh jetzt über Sepps Einladung, trabte er neben ihm her; denn man ging zu Fuß wie in alten Tagen. Und ohne sich lange darüber zu verständigen, steuerten sie einem jener billigen Bistros zu, wie sie sie vor ihrer Wandlung und Entfremdung frequentiert hatten.
Da saß man wieder, wie früher so oft, in einer grellbeleuchteten, lärmenden Kneipe. Schmerzhaft dachte Tschernigg daran, wie er seinerzeit in dem kahlen Café Zur guten Hoffnung Sepp seine Gedichte vorgelesen hatte, scheinbar gleichgültig, doch zerbrannt von Erwartung. Ach, er hat falsche Gedichte geschrieben damals, und Harry Meisel hat recht gehabt, wenn er seine Gedichte mit abgründig gemeinen Worten abtat; noch in der letzten Nacht hat er ihm darüber Worte des Hohns ins Gesicht geworfen. Aber trotzdem sind die frechen, falschen Verse das Beste, was er gemacht hat. Leider aber schreibt er solche Verse nicht mehr, er schreibt überhaupt keine Verse mehr, damit ist es vorbei. Er, wie er heute dasitzt, kann nicht mehr dichten, er begreift nicht mehr, wie er jene Verse hat schreiben können. Sie sind ihm unheimlich, fremd wie abgeschnittene Haare oder Fingernägel, er versteht sie sowenig, wie er sein ganzes früheres Selbst versteht. Aber gerade diese seine Verse sind es, was Sepp an ihm angezogen hat, und vielleicht kann er auf dem Umweg über diese Verse Seppwieder erreichen. Es ist schade, daß sie sich so weit voneinander entfernt haben.
Fein wäre es, wenn Sepp ein paar von seinen Gedichten vertonte. Das wäre eine neue Bindung. Und es könnte sein, daß er, Oskar Tschernigg, dann zurück zu seinen Versen fände.
»Wie wäre es, Professor«, sagte er, »wenn Sie Oskar Tschernigg für die Welt entdeckten wie seinerzeit den Harry Meisel? Ich selber habe keine Beziehungen mehr zu meinen alten Versen, aber Ihnen bedeuten sie doch noch etwas. Wollen Sie nicht einmal ausprobieren, was daran noch lebendig ist? Wenn Sie Schneid haben, Professor, dann lassen Sie die primitiven Lieder des alten Walther liegen und versuchen es mit dem jungen Tschernigg.«
Sepp hörte aus den scherzhaften Worten heraus, wie ernstlich Tschernigg um ihn warb; beinahe tat er ihm leid. Als er Tschernigg aufgefordert hatte, noch mit ihm zusammen zu sein, da hatte er daran gedacht, sich ihm zu eröffnen, ihm grimmig vorzugranteln. War es nicht ein verdammtes Pech, wollte er ihm vorlamentieren, daß einer, der solche Musik machte, sich selber dazu verurteilt hatte, auf einer Winkelredaktion herumzuhocken und mittelmäßige Artikel herunterzuschmieren? Wann endlich wird er sich seine Politik abschminken dürfen?
Allein wie sie jetzt in der armseligen Kneipe saßen, wußte er, daß es sinnlos gewesen wäre, vor Tschernigg zu jammern. Der hatte bestenfalls höhnische Redensarten für ihn, die ihn die Kette nur schlimmer spüren lassen würden, an die er sich geschmiedet. Es war besser, sich mit seiner blöden »P. D. P.« herumzuschinden, ohne zu klagen; es war gescheiter, die kalt gewordene Freundschaft mit Tschernigg nicht aufzuwärmen.
Tschernigg merkte, daß das alte Vertrauen zwischen ihm und Sepp nicht mehr herzustellen war. Das Feuer, das er an Sepp eine kurze Minute lang wahrgenommen hatte, war rasch herabgebrannt; der hatte an seinem Erfolg kaum mehr Freudeals er, Tschernigg, an dem seinen. Wortkarg hockten die beiden zusammen, trübselig grübelnd, versunken ein jeder in sich selber.
12
Der verschwimmende Horizont
Um den alten Ringseis stand es nicht gut. Er lag jetzt im Krankenhaus, in einem großen Saal mit zwei Dutzend andern, und sah so zusammengeschmolzen aus, daß es Sepp weh tat. Doch Sepps Besuch belebte ihn sichtlich. Er habe nun, erzählte er, sein Französisch vollends verlernt, nur auf dem Umweg übers Lateinische könne er französische Vokabeln in seinem Gedächtnis aufstöbern, und viele fehlten ihm gänzlich.
»Wenn Sie nach Deutschland zurückkommen, mein Sohn«, sagte er später, der Gedanke mußte ihn seit langem bedrückt haben, »dann erinnern Sie sich, bitte, daran, daß
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