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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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zu den Proletariern geschlagen, ist einer von ihnen geworden, und diejenige, die kein proletarisches Bewußtsein hat, das ist sie.
    »Wieso tu ich dir unrecht?« antwortet sie. »Du bist ein Herr, und ich bin eine Aufwartefrau. Darüber kann man dochnicht debattieren.« – »Und ob man darüber debattieren kann«, ereifert er sich. »Ich gehöre doch zu euch, politisch, meine ich.« – »Politisch«, höhnt sie zurück, und: »Ich kümmere mich einen Dreck um Politik«, erklärt sie. »Einen Dreck interessier ich mich für deine Politik«, wiederholt sie, resolut, ärgerlich über soviel Unverstand. »Für dich interessiere ich mich, du Idiot.« Und da er immer noch nicht zu begreifen scheint, setzt sie ihm in nüchternen Worten ihre Weltanschauung auseinander. Die Reichen seien reich, dagegen sei nichts zu machen, der Arme müsse schauen, wo er bleibe. Aufbegehren sei sinnlos, damit verhunze man sich höchstens noch das bißchen, was man vom Leben habe. Der Kuchen sei nun einmal, wie er sei, man müsse schauen, daß man sein Brösel davon abbekomme. »Hab ich nicht recht?« schließt sie.
    Hanns findet nicht, daß sie recht habe, im Gegenteil, er findet sie leichtfertig, leicht-fertig, und er beginnt behutsam, ihr darzulegen, worum es geht. Sie aber unterbricht ihn sogleich. Sie erzählt, wie ein Mann, den sie sehr gern gehabt hat, Kommunist war. Dabei ist nichts herausgekommen, als daß er nie Zeit für sie gehabt hat, und wenn er Zeit hatte, dann hat er sie angeödet mit seinen Theorien. Und aus einer Stellung nach der andern haben sie ihn hinausgefeuert, obwohl er ein guter Arbeiter war, wegen seines Kommunismus, und zuletzt haben sie ihn eingesperrt, den Idioten. »Da hast du’s, und laß dir’s zur Warnung dienen«, rät sie verständig.
    Vor diesem platten Opportunismus ist Hopfen und Malz verloren. Hanns ist ernüchtert. Germaines Haar leuchtet ihm nicht mehr so rotblond, ihre Haut ist nicht mehr so bezaubernd weiß; auch sieht er jetzt, daß die Mutter recht gehabt hat, daß sie wirklich schlampig ist, es sind Flecken auf ihrer Bluse.
    Aber es geht nicht um ihre Anziehungskraft, auch nicht um ihre politische Überzeugung, die Frage ist: hat er nun die Aufgabe erfüllt, die er sich gestellt, hat er die Sache Germaine bereinigt? »Begreifen Sie wenigstens, warum ich Sie damals im ›Chasseur d’Afrique‹ nicht abgewartet habe?« fragte er,dringlich. Aber: »Nein, das begreife ich nicht, du Idiot«, erwiderte sie, sah ihn noch eine Weile an mit einem Blick, von dem er nicht wußte, bedeutete er Spott oder Bedauern, und kehrte sich dann wieder ihrer Arbeit zu.
    Wenn es Hanns nicht recht geglückt war, die schwebende Angelegenheit mit Germaine in Ordnung zu bringen, so wollte er wenigstens, ehe er Paris verließ, dafür sorgen, daß Sepp für die Zukunft so angenehm wie möglich untergebracht sei. Die äußeren Dinge lassen sich gut an; seit dem Konzert bei dieser Dame an der Rue de la Ferme sieht es so aus, als werde Sepp zumindest auf ein oder zwei Jahre frei sein von wirtschaftlichen Sorgen. Aber der Vater ist unpraktisch wie ein kleines Kind und äußerst phlegmatisch; wenn man ihn nicht stößt, bleibt er für immer in seinem unbequemen, widerwärtigen Loch hocken. Aus diesem scheußlichen Hotel Aranjuez wenigstens muß ihn Hanns herauskriegen, bevor er nach Moskau geht.
    In den nächsten Tagen also lief er herum in der Stadt Paris, um für den Vater Wohnung zu suchen. Das war nicht einfach, sein und Sepps Geschmack waren so verschieden wie ihre Bedürfnisse. Aber schließlich fanden sich am Quai Voltaire zwei große, altmodische, behaglich eingerichtete Zimmer, mit herrlichem Blick auf den Fluß, Räume, die Sepp, wenn er ein bißchen gutwillig war, an München erinnern konnten. Hanns bat den Inhaber der Wohnung, ihm die Zimmer zu reservieren. Allein der Mann erklärte hochnäsig, die Zimmer könne er jeden Tag loswerden, und ließ sich auf nichts ein.
    Hanns wollte sich die Wohnung nicht durch die Lappen gehen lassen und nahm sich vor, noch heute mit Sepp zu reden. Bei dieser Gelegenheit wird er ihm auch gleich sagen, daß er also in wenigen Wochen endgültig fortgeht. Eine angenehme Aussprache wird das nicht werden.
    Er ging der Metrostation zu, mechanisch, seine Gedanken waren bei der bevorstehenden Unterredung. Da, am Eingang der Station, stutzte er. Dort nämlich stand ein Liebespaar, dassich auf jene unbekümmerte Art verabschiedete, die in Paris gang und gäbe war. Der junge Mann und das

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