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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Hörern ins Blut. Auch daß ihre Frechheit mehr war als bloß lustig, daß sie kämpferisch war, revolutionär, auch das war nicht zu verkennen. Wer tiefer hinhörte, der merkte: gerade die kämpferische Frische verband über die trennenden sechs Jahrhunderte hinweg den Dichter Walther von der Vogelweide und den Musiker Sepp Trautwein.
    Aufhorchten die Gäste Madame de Chassefierres. Sie hatten eine trockene, französische Übersetzung in Händen, und selbst diejenigen, die Deutsch konnten, verstanden schlecht die altertümlichen Verse. Aber alle spürten die Kraft dieser Musik, ihren stürmischen Willen zum Richtigen, zum Menschlichen. Da war nichts mehr von dem unverbindlichen Respekt vor einer beachtlichen Kunstleistung, mit dem sie früher zugehört hatten. Enthusiasmiert saßen sie, es war ihre eigene Lust und ihr eigenes Aufbegehren, das aus der Kehle des Sängers, aus den Saiten des Flügels kam.
    »Ja, wenn Herr Walther kröche.« Lea sah auf den merkwürdigen Menschen, den sie da gegen Erich ausspielte, sie sah sein knochiges Gesicht mit den tiefliegenden Augen hinter den starken, ergrauten Brauen, sah, wie er die Lippen zusammenkniff, während er sich am Flügel abmühte, sah das Lebendige an ihm, den jähen Wechsel zwischen Grimm und kindlichem Vergnügen. Er war täppisch, kraftvoll, lustig und sicherlich äußerst unpraktisch. Ein Deutscher, alles in allem. Und Erich war ein Nazi. Jetzt also hatte sie es erreicht, es war kein lahmer Abend mehr, ihr Monsieur Trautwein hatte seinen Erfolg weg, man wird ihr gratulieren, es war ein Erfolg auch für sie. Ein bitterer Erfolg: der Triumph dieses Trautwein ist die Niederlage Erichs. Sie hat es ihm gezeigt, wie sie es ihm angedroht, es ist entschieden, sie hat die Brücken abgebrochen. Und was hat sie gewonnen?
    »Ja, wenn Herr Walther kröche.« Peter Dülken saß da und hörte zu. Wir haben Sepp viel zugetraut, aber ein Rest Akademie ist immer in seiner Musik gewesen, ein Rest Theorie, und nun bricht es so lebendig aus dem Mann heraus, so urtümlich. Peter Dülken ist voll von Freundschaft und Bewunderung. Hat er recht getan, daß er damals so auf Sepp eingeredet hat? Es ist unvorstellbar, was für eine Überwindung es den Mann kosten muß, Tag für Tag in der Redaktion der »P. D. P.« anzutreten, statt sich ans Klavier zu setzen und vor seine Noten. Er, Pitt, hat trotzdem recht getan, damals. »Ja, wenn Herr Walther kröche.« Wäre Sepp bei seiner Musik geblieben,es wäre ein Kriechen geworden. So, durch seine Arbeit bei der »P. D. P.« kauft er sich frei, ein für allemal.
    »Ja, wenn Herr Walther kröche.« Da konnte auch Hanns mit, das spürte auch Hanns. War er damals, bei der Rundfunkübertragung der »Perser«, noch voll gewesen von Verachtung für die dümmlichen Gesichter der angestrengt Lauschenden, hatte er sich damals gesagt, daß es in dieser Zeit des großen Übergangs nicht darauf ankomme, Musik zu machen, sondern die Welt zu ändern, so war er mittlerweile duldsamer geworden und sah jetzt in seiner Stumpfheit vor der Musik keinen Vorzug mehr, sondern einen Mangel. Es war schon etwas daran, wenn Sepp behauptete, man könne auch mittels Musik kämpfen. Hanns sah auf seinen Vater, wie sich der mit verbissenem, grimmigem, vergnügtem Gesicht am Flügel abarbeitete, und er liebte ihn sehr. Sepp, das spürte man in dieser Musik, kämpfte einen tapfern Kampf. Schade nur, daß er nicht recht wußte, wofür. »Und reimt sich’s auch wie Arsch und Mond, / Herr Walther fragt nicht, ob sich’s lohnt, / Herr Walther singt doch, was er will.« Hanns wird den Vater beruhigt zurücklassen können.
    »Ja, wenn Herr Walther kröche.« Raoul wußte nicht recht, was er mit Monsieur Trautwein anfangen sollte. Er war der neuen »Anwandlung« seiner Mutter von Anbeginn an skeptisch gegenübergestanden. Er hatte natürlich begriffen, daß die Veranstaltung dieses Konzertabends eine endgültige Absage an Monsieur Wiesener bedeutete, die schärfste Art des Bruches, die sich denken ließ, ihm war das lieb, und ihm imponierte der Mut, mit dem die Mutter Monsieur Wiesener vor der ganzen Welt abhalfterte und desavouierte. Aber tat sie das nicht ein bißchen sehr plakathaft? Rundheraus, ein bißchen geschmacklos? Und dieser Monsieur Trautwein selber, was war das für eine tolle Artischocke. Er hatte sich, das hatte Raoul von Tschernigg erfahren, um Harry Meisel sehr verdient gemacht, verstand also etwas von Literatur. Er schrieb strenge Musik, »Die Perser«, die

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