Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Ihnen wohl nicht unbekannt ist, und man hat viele andere Leute hinausgejagt, denen ich mich verbunden glaube. Ich fühle mich verpflichtet, diesen Leuten zu helfen, so bin ich nun einmal, und das kostet Geld. Das kostet ein Stange Gold, Verehrtester, und darum gehört der gute Wohlgemuth nicht zu den billigen.«
Dies also setzte der Doktor auseinander, im Zimmer herumstorchend, gemütlich schnarrend, kalauernd, schwadronierend. Herr von Gehrke hatte natürlich seinen Kopf längst wieder hochgerichtet, in anmutig eleganter Haltung saß er auf dem fatalen Stuhl, höflich, aufmerksam. Angenehm ist es nicht, den ganzen Guano anhören zu müssen, den der Jud da von sich gibt. Es wäre verlockend, aufzustehen und die Tür zwischen sich und ihm sacht oder auch mit Krach zuzumachen. Aber nun hat er sich einmal vorgenommen, sich von dem Untermenschen die Zähne in Ordnung bringen zu lassen. Schließlich handelt es sich um eine Sache, die er sein Leben lang unverrückbar, unveränderlich, jedem sichtbar an seinem Leib herumtragen wird, da muß man Opfer bringen. Eine Gemeinheit, daß seine verdammten Zähne ihm diesen Streich spielen. Paradentit – Paradentos –, jetzt hat er einmal in den sauren Apfel gebissen, jetzt ißt er ihn zu Ende.
Zaster will der Zahnmensch also auch noch aus ihm herauspressen, und nicht zu knapp. Gemein, gemein. Aber es hilft nichts. Schließlich ist es eine einmalige Ausgabe. Er muß es eben schaffen, und er wird es schaffen. Er hat schon ganz anderes geschafft.
Wenigstens trifft es ihn nicht, wenn der andere ihn verulkt. Wenn der Jud glaubt, er könne ihn mit seiner Dreigroschen-Ironieärgern, dann ist er gelackmeiert. Gegen so was ist Herr von Gehrke immun, das ritzt ihm nicht die Haut. Würde, mein Lieber: bei mir gestrichen. Diese Schwäche kennen wir nicht. Übrigens, wenn einer andern Leuten immerzu im Mund herumfuhrwerkt, seine Finger von ihnen anspeicheln, sich ihren Atem ins Gesicht blasen läßt, so was soll gefälligst ganz still sein, wenn es um Würde geht. Von so was kann Walther von Gehrke mit gutem Gewissen jede Frechheit einstecken.
Er ließ also den andern ruhig zu Ende reden, bemühte sich mit Glück, unbeteiligt auszuschauen, ja, während seine Nase hochmütig schräg nach oben sah, produzierten seine sehr roten Lippen sogar ein kleines, liebenswürdiges, ironisches Lächeln, und als Wohlgemuth endlich fertig war, beschränkte sich Herr von Gehrke darauf, beiläufig, hochmütig zu fragen: »Was soll die Geschichte denn kosten?«
»Dreißigtausend Franken«, erwiderte ebenso beiläufig Doktor Wohlgemuth.
Die unverschämte Forderung verschlug Herrn von Gehrke denn doch das Wort. Aber nur für den Bruchteil einer Sekunde. Man soll nicht billig kaufen, überlegte er, noch ehe die Sekunde zu Ende war. Mama hat immer gesagt, was billig ist, ist schlecht. Ich selber habe oft genug die gleiche Erfahrung gemacht. Zuletzt hat man, je teurer man kauft, um so billiger gekauft. Am eigenen Leib spart man nicht. Ein anderer würde mir’s billiger machen, aber wahrscheinlich schlechter. Wenn es um den eigenen Mund geht, ist das Teuerste gerade gut genug. Der Kerl versteht seine Sache bestimmt. Sonst wäre er nicht so teuer und so unverschämt.
»Gemacht«, sagte Herr von Gehrke, er sprach ebenso nonchalant wie bisher. »Dreißigtausend Franken. Wie lange wird es dauern, und wann können wir anfangen?« erkundigte er sich sachlich weiter.
Dem Doktor war es ein bißchen leid, daß der Nazi sich nicht beklagte und nicht feilschte. »Vor etwa zwei Wochen«, erwiderte er kühl, »kann ich Sie nicht herannehmen. Die erste Woche brauche ich Sie täglich, aber immer nur kurze Zeit,für Vorbereitungen. Dann muß ich Ihnen die Vorderzähne abschleifen, und Sie werden gut daran tun, die Woche darauf zurückgezogen zu leben. In Gesellschaft lassen Sie sich besser nicht sehen, ehe ich Ihnen die neuen Zähne einsetze. Im ganzen, schätze ich, werden wir gute drei Wochen miteinander zu tun haben. Eine angenehme Zeit wird es nicht.« – »Bon«, erwiderte, immer sehr beiläufig, Herr von Gehrke und stand auf.
»Übrigens muß ich Sie bitten«, sagte, schon nah an der Tür, unliebenswürdig Wohlgemuth, »mir die Hälfte des Betrags vor Beginn der Behandlung auszuhändigen. Die andere Hälfte ist fällig, bevor ich Ihnen die Zähne endgültig einsetze.« – »Sie müssen viel mit Lumpen zu tun gehabt haben, Herr Doktor«, erwiderte, besonders höflich, Herr von Gehrke. »Stimmt«, antwortete
Weitere Kostenlose Bücher