Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
standen. Jetzt gar begannen sie schadhaft zu werden und verloren den Schmelz. Herr von Gehrke litt, wie man ihn belehrte, an Zahnfachschwund, an Paradentitis, an Parodontose, Herr von Gehrke stolperte immerzu über das Wort. Doch mochte sein Leiden heißen, wie es wollte, es verursachte ihm nicht nur ständige Schmerzen und verdarb ihm die gute Laune, sondern verhäßlichte auch seinen Mund noch mehr und machte so sein hübsches, leichtfertiges Gesicht lasterhaft und alt. Nächst jener einmaligen »Leistung« war aber sein Gesicht sein bestes Kapital, und er mußte gegen diese Paradentit – gegen diese Paradentos –, kurz, er mußte für seine Zähne etwas unternehmen.
Eines Tages nun, nach ziemlich vielen Gläsern Kognak und in gelockerter Stimmung, hatte einer seiner Freunde, Raymond Fontagne, der berühmte Fontagne, dessen Lachen, von zehntausend Leinwänden strahlend, die ganze Welt entzückte, ihm anvertraut, daß die Zähne, welche dieses Lachen hervorbrachte, nicht ganz Natur waren, und auf sein Drängen hatte er ihm die Adresse Doktor Wohlgemuths gegeben.
Es störte Herrn von Gehrke, daß dieser Doktor Mirakel kein »Arier« war. Aber groß war, vom völkischen Standpunkt aus gesehen, der Unterschied nicht, ob er zu einem der degenerierten, vernegerten, welschen Zahnärzte ging oder zu einem Juden. Und daß er, nur weil sie rassisch unbedenklich waren, sein Gebiß einem der paar kleinen Nazi-Pinscher anvertraute, die in Paris als Zahnärzte herummurksten, das kam bei all seiner politischen Zuverlässigkeit denn doch nicht in Frage. Übrigens lag es in seinem Fall geradezu im vaterländischen Interesse, wenn er die rassische Abneigung überwand. Sein Metier verlangte, daß er sich in der Pariser Gesellschaft umtat, man legte Gewicht darauf, gerade hier in Paris das Plumpe, Brutale, das dem neuen Regime anhaftete, nach Möglichkeit zu maskieren, und es war notwendig, daß zu solchem Zweck Leute wie er sich ihr angenehmes Äußeres bewahrten.
Eines Tages also hatte man Herrn von Gehrke im Operationszimmer Wohlgemuths sitzen sehen. Der Doktor war erstaunt. Überzeugter Jude, war er von der Verworfenheit und Minderwertigkeit der Nazi ebenso durchdrungen wie diese von der seinen, und daß ein offizieller Repräsentant der Verhaßten seine, des vertriebenen Gegners, Dienste in Anspruch nahm, bereitete ihm tiefe, fröhliche Genugtuung.
Er schickte sich an, den Spaß auszukosten. Umständlich betrachtete er Herrn von Gehrkes Zähne, sprach mit unverhohlenem Abscheu von ihren ästhetischen Fehlern, beschrieb suggestiv ihren unvermeidlichen weiteren Verfall und fand für die Schmerzen, die Herr von Gehrke auszustehen hatte, und für die größeren, die ihm bevorstünden, anschauliche Worte. Ging dann unvermutet über auf die erstaunlichen Fortschritte der modernen Zahnheilkunde und entwarf reizvolle Schilderungen, in welch schönes Gebiß man heute selbst einen so scheußlich verrotteten Mund wie den von Monsieur le Baron umwandeln könne. Demonstrierte das an Photos. Zeigte Bilder, welche den Mund gewisser seiner Patienten wiedergaben, wie er ausgesehen hatte, bevor und nachdem er seine Kunst ausgeübt hatte. Herr von Gehrke fing sichtlich Feuer. Vor allem der häßliche Mund des Filmdarstellers Raymond Fontagne, wie er gewesen war, ehe Wohlgemuth ihn kunstvoll in einen strahlend lachenden verwandelt hatte, machte ihm Eindruck.
Der genießerische Doktor aber wurde, als er den andern soweit hatte, plötzlich kühl und setzte sachlich auseinander, welche Schwierigkeiten es bereite, dem Mund gerade von Monsieur le Baron den rechten Schick zu geben. »Ja«, erklärte er fachmännisch bieder, »wenn es sich nur darum handelte, Ihr geschätztes Gebiß vom hygienischen Standpunkt aus in Ordnung zu bringen, das machte weiter keine Mühe. Aber wenn ich auch das Kosmetische berücksichtigen soll, dann wird es eine verdammt langwierige, komplizierte Angelegenheit. Die obern Zähne abschleifen. Wurzelbehandlung. Schienung. Meine Herren. Das kostet Mühe, Zeit, Nerven« – ermachte eine eindrucksvolle Pause –, »Geld. Wenn es nämlich um Kosmetisches geht, dann sind Wohlgemuths Rechnungen mit Recht gefürchtet. ›Wer bei uns kauft, kauft am teuersten, aber auch am besten‹, steht in einem gewissen Londoner Warenhaus angeschrieben, oder wie man in unserm verflossenen Berlin sagte: ›Wer seinen Kaffee bei Raffael mahlen läßt, muß dafür zahlen.‹ Man hat mich nämlich aus Berlin hinausgejagt, Monsieur le Baron, was
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