Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Führers vertauschend, entschied er sich, gefährlich zu leben.
Der gewisse Dittmann erhielt also Bescheid, auf dem Konto Herrn von Gehrkes buchte man ein Aktivum, die gut informierte Stelle überzeugte sich eines Besseren, Herr Bankdirektor Federsen funktionierte wieder, und Spitzi hatte sich am festgesetzten Tag mit dem Scheck bei Doktor Wohlgemuth einfinden können.
Da saß er denn heute auf dem Operationsstuhl. Er hatte sich während der Vorbereitungsarbeiten an die grimmig joviale Art des Zahnmenschen gewöhnt und war nicht weiter erstaunt, daß Wohlgemuth, bevor er seine unerfreulichen Zähne absägte, sich noch einmal an ihrem Anblick weidete. Auch darüber wunderte er sich nicht, daß der Jud offenbar am liebsten eine ganze Volksversammlung einberufen hätte, um ihr die scheußlichen Zähne des Nazi vorzuweisen. Vielmehr besah ersich selber diese Zähne im Spiegel, gehorsam, wie Herr Wohlgemuth es verlangte. Es war ja nun das letztemal, gleich wird der Jud an die Arbeit gehen, heute abend ist das Schlimmste überstanden. »Die Stunde rennt auch durch den rauhsten Tag.«
Dem Doktor fiel keine Bosheit mehr ein, durch die er Monsieur le Baron hätte ärgern können. Er machte sich also ans Werk, stopfte dem Patienten Watte zwischen Wange und Kiefer, setzte die Maschine in surrende Bewegung und begann, während sich Herr von Gehrke mit beiden Händen fester an die Lehne des Stuhles klammerte, die anstößigen Zähne an den Wurzeln abzufeilen.
Spitzi saß da, im Kittel, den Kopf mit dem offenen Rachen zurückgelehnt, dem andern ausgeliefert. Der Gaumen, frostig durch die schmerzbetäubende Injektion, trocknete ihm aus, er versuchte krampfhaft zu schlucken, das markante Gesicht Herrn Wohlgemuths mit den feurigen Augen und dem dichten, schwarzen Haar war ganz nah über ihm, die Maschine surrte, es tat nicht weh, aber behaglich war der Lärm in seinem Kopf nicht. Eigentlich hatte er gefürchtet, das Ganze werde schlimmer sein. Da es nicht so war, gingen seine Gedanken, während Wohlgemuth mit seiner schnarrenden Offizierstimme grimmig draufloskalauerte, hierhin und dorthin.
Wenn er wollte, dachte er, dann könnte er mich für alle Zeiten entstellen, und es wäre ihm kaum etwas nachzuweisen. Eigentlich ist es unvorsichtig, daß ich hier sitze. Nein, er kann es nicht riskieren. Es wäre ein zu großer Prestigeverlust. Aber ganz anders piesacken könnte er mich. Ich jedenfalls, wenn ich einen Menschen unter meinen Fäusten hätte, der mir soviel angetan hat wie wir denen, ich würde ihn ganz anders hernehmen. Wenn er mich jetzt schliffe, daß ich nicht mehr weiß, ob ich der Nazi bin oder der Jud, das könnte ihm bestimmt kein Mensch nachweisen. Er hat kein Temperament, er ist ein Schlappschwanz, ein gutmütiger Trottel, er gehört nicht zur Herrenrasse, er ist ein Untermensch, Gott sei Dank.
Eigentlich ist es großartig, was man jetzt für Geschichten mit den Zähnen machen kann. Gleichschaltung der Zähne. Wirhaben sie untergekriegt, diese Paradentit – diese Paradentos –, mit unserer nordischen List. Der Erfindergeist der Menschheit ist gewaltig. Nichts Gewaltigeres lebt als der Mensch. Wie muß man früher gelitten haben, wenn man so eine Paradentit gehabt hat. Vor hundert Jahren hätte eine so hübsche Visage wie die meine dauernd entstellt bleiben müssen.
Dreißigtausend Franken. Es ist natürlich glatter Schwindel, daß er etwas an die Emigranten abführt. Er wäre ja meschugge. So ein jüdischer Wucherer. Eigentlich müßte ich einen tiefen Widerwillen gegen das Schwein spüren. Aber mein Frontgeist scheint nachgelassen zu haben. Er ist mir gar nicht zuwider, im Gegenteil, er ist mir ganz sympathisch, obwohl er zu mir so frech war, als wäre er der leibhaftige Goebbels. Wie er sich abschindet. Wie er schwitzt. Schon die physische Anstrengung ist die Dreißigtausend wert. Eine ekelhafte Arbeit. Früher hat man die Zahnmenschen mit den Barbieren in eine Gilde gesteckt. Jetzt nimmt man sie fast für voll.
Wenn er das Geld doch den Emigranten geben sollte, wenn er tückisch sein und es mir zeigen wollte, dann habe ich ihm die Chose gründlich versalzen. Man weiß wirklich nicht, ob man weinen soll oder lachen. Ich glaube, für einen Dritten ist es eher erheiternd, daß der gute Benjamin die Zeche berappen muß, die ich für die Emigranten zahle.
Weh tut es wirklich nicht. Aber angenehm ist anders.
Daß dieser Dittmann sich hat erwischen lassen. Zu blöd. Sonst war er immer so anstellig. Zu Anfang
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