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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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arbeiten, beim besten Willen nicht«, fährt der Doktor fort, und: »Habe ich Ihnen die Geschichte von der Tür erzählt?« fragt er, und ohne ihre Antwort abzuwarten, erzählt er.
    Hat er da also einmal beim SDE angerufen, man möge ihm jemand schicken, um eine schlecht schließende Tür zu reparieren. Nach ein paar Tagen stellten sich auch zwei Leute für diese Arbeit ein, ältere, gesetzte Emigranten, die freilich nicht sehr nach Schreinern aussahen. Sie schauen sich die Tür an und verlangen zunächst Geld für ihre Auslagen. Was denndie Reparatur kosten solle, fragt Wohlgemuth. »Wie können wir das im voraus wissen?« erwidert man ihm vorwurfsvoll. »Wir arbeiten, bis wir fertig sind, dann rechnen wir ab, pro Kopf und Stunde fünfzehn Franken.« – »Bon«, erwidert Wohlgemuth. Die Herren hängen die Tür aus, gehen in die Küche, machen sich ans Werk.
    Nach kurzer Zeit hört der Doktor wüsten Lärm. Er eilt hinaus. Da fliegt ihm durch die zerschmetterte Glastür der Küche einer der beiden Emigranten entgegen. »Aber meine Herren«, erkundigt sich der verblüffte Wohlgemuth, »was ist denn um Gottes willen los?« Und während der eine an den Brunnen geht, um seine Wunden zu waschen, berichtet ihm der andere, entrüstet: »Wissen Sie, was der Kerl gesagt hat? Wenn Trotzki an der Macht geblieben wäre, hat er gesagt, dann hätten wir keinen Hitler. Jetzt ist er entlarvt. Der Kerl ist Trotzkist. Wie kann man mir zumuten, mit so einem zusammen zu arbeiten?« – »Aber ich habe es Ihnen ja nicht zugemutet«, stellt Doktor Wohlgemuth fest. »Ich kenne keinen von Ihnen beiden, Sie sind mir vom SDE geschickt worden. Sie sind zusammen gekommen, und jetzt machen Sie gefälligst Ihre Arbeit.« Doch der Mann kann mit seiner Entrüstung noch nicht Schluß machen. »Zwei Jahre«, ereifert er sich, »habe ich mit ihm zusammen gearbeitet. Aber jetzt ist er entlarvt. Er hat sich selber entlarvt. Das kann man mir nicht zumuten, daß ich mit dem arbeite. Leute wie der sind an dem ganzen Schlamassel schuld.« Da aber faßt den andern, den am Brunnen, wieder der Grimm, er läßt ab von der Pflege seiner Wunden und stürzt sich von neuem auf seinen Gegner. Doktor Wohlgemuth wirft sich dazwischen, er kriegt selber einiges ab, mit Mühe trennt er die beiden. »Jetzt habe ich genug«, erklärt er, »jetzt machen Sie, daß Sie fortkommen.« – »Schön«, erwidert der Antitrotzkist, »wenn Sie so sind, dann geh ich. Aber erst bezahlen Sie mir gefälligst den Arbeitsentgang.« – »Und meine zerbrochene Glastür?« fragt Wohlgemuth zurück. »Wer ist durchgeflogen«, entrüstet sich der Mann, »ich oder der andere?«
    So also erzählte der Doktor, während er seinen Kaffee trank;seine Erzählung war anschaulich, er hatte offenbar Spaß daran. Anna gefiel die Geschichte weniger. Wohl mußte sie lachen; aber hinter diesem Lachen war etwas wie Scham und Empörung. Wohlgemuth mochte die Sache ausgeschmückt haben: der Kern stimmte. So wurden Emigranten, wie viele wurden so, frech, streitsüchtig, ohne Maß für sich und die andern, anspruchsvoll gerade wegen ihres Elends, lächerlich. Dieses Absinken in die Lächerlichkeit war schlimm. Ob sie sich selber ganz davon hat frei halten können? Wenn einer genau hinsah, dann mochte er vielleicht auch an ihr dergleichen Lächerliches finden, an ihrer Unzufriedenheit, an ihren Ansprüchen.
    Ein Übelwollender mochte die Dinge der Emigranten so anschauen, aber Wohlgemuth hatte dazu nicht das Recht. Er hätte mehr Verständnis zeigen, hätte begreifen müssen, die Emigranten waren zermürbt durch gehäuftes Leid. Wer konnte wissen, was zum Beispiel die beiden Männer, die gekommen waren, die Tür zu reparieren, in Deutschland vorgestellt hatten? Wer konnte wissen, was sie gemacht hatten, ehe sie so wurden, wie sie jetzt waren? Man mußte mit solchen Leuten Nachsicht haben. Auch fiel, und das müßte Wohlgemuth bedenken, was man von einem Emigranten Schlechtes erzählte, auf alle zurück.
    »Ich muß sagen«, fuhr Wohlgemuth behaglich fort, schnarrend, mit seinen langen Beinen auf und ab storchend, »mir haben dabei die Kerle gefallen. Es ist merkwürdig, wie viele unter den Emigranten sich absolut nicht unterkriegen lassen. Sie betrachten, was sie jetzt tun und wie sie jetzt leben, als Provisorium. Sie kümmern sich nicht um ihre Tür, sie kümmern sich um Trotzki.«
    Der Doktor ist geradezu stolz auf die Gutmütigkeit, mit der er sich bewußt ausnutzen läßt. Ja, das ist der gegebene Moment:

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