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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Wohlgemuth, jovial schnarrend. »In Berlin hatte ich eine Masse Ihrer Parteifreunde unter meinen Patienten. Aber einige haben bezahlt.«
    Nach diesem Gedankenaustausch hatte man sich getrennt. Herr von Gehrke hatte des Abends lange sein hübsches, freches Gesicht im Spiegel betrachtet, die sehr roten Lippen, das weiche, blonde Haar, die glatte, zarte, bräunliche Haut, nachdenklich, und noch nachdenklicher die kleinen, spitzen, schadhaften Rattenzähne. Jetzt schon spürte er alle die Schmerzen, welche Wohlgemuth ihm, sie so anschaulich schildernd, vorausgesagt für den Fall, daß er diese Zähne nicht sollte richten lassen. Soll ich doch zu einem französischen Spezialisten gehen? überlegte er. Aber mein kleiner Finger sagt mir, dieses Schwein ist zuverlässig. Wenn das Schwein frech wird, dann muß man es eben hinnehmen und die Zähne zusammenbeißen, soweit das in diesem Zustand möglich ist. Paris ist eine Messe wert. Ja, Spitzi hat ein gelassenes, sanft und freches Temperament und kann es sich leisten, die Arroganz des Untermenschen Wohlgemuth von der heitern Seite zu nehmen.
    Bleibt die Frage der dreißigtausend Franken. In Gegenwart Wohlgemuths waren diese dreißigtausend Franken für Spitzieine quantité négligeable. Jetzt sind sie es nicht mehr, jetzt sind sie ein Problem, das ihm zu beißen gibt. Er kann zwar auf seiner Habenseite jene »Tat« buchen, die »Leistung«. Er hat sich um den »Bären« verdient gemacht, und ein Wort des Bären genügt, jede Schwierigkeit aus dem Weg zu räumen. Aber der Bär hat, als er ihm seinen Posten zugeschanzt, ihm gesagt: »Ich habe Sie in den Sattel gesetzt, reiten müssen Sie gefälligst selber.« Sehr ernst ist das wohl nicht gemeint gewesen, der Bär muß besorgen, Spitzi könnte unangenehm werden, wenn er ihn fallenließe. Immerhin wäre es Unsinn, den Bären wegen lumpiger dreißigtausend Franken in Bewegung zu setzen. Vorläufig muß eben wieder einmal unser alter, ehrlicher Federsen herhalten.
    Federsen war der Chef der Pariser Niederlassung einer großen deutschen Bank, der Mitropa-Bank. Beim Abschluß des letzten Handelsvertrages hatte Spitzi Herrn Federsen gewisse Dienste geleistet, für die ihm Herr Federsen seinesteils gewisse Gefälligkeiten zu erweisen pflegte. Aber diesmal zeigte sich Herr Federsen nicht sogleich zugänglich. Spitzis Stellung in der Botschaft, äußerte er mit der ihm eigenen lärmenden Bonhomie, scheine ihm nicht mehr so gesichert, daß Spitzi eine neue Gefälligkeit durch allenfallsige spätere Gegendienste werde vergelten können. Dringlicher befragt, worauf diese seine Meinung sich gründe, wollte Herr Federsen von gut informierter Stelle gehört haben, die Rue de Lille – das war die Straße, an der die Deutsche Botschaft lag – habe keinen einzigen Erfolg aufzuweisen, der auf Herrn von Gehrkes Wirksamkeit zurückgeführt werden könnte; unter diesen Umständen sei es schwierig, Herrn von Gehrke auf die Dauer zu halten. Spitzi lächelte nur. Die gut informierte Seite hätte von einer noch besser informierten darüber aufgeklärt werden können, daß auf seinem Konto ein Aktivum gebucht war, das alle vorkommenden Wechsel deckte. Spitzi war Fatalist, er war der Überzeugung, was man nicht tue, bereue man seltener, als was man tue, und er war von Natur phlegmatisch. Immerhin, sein »Verdienst« war kein Verdienst mehr, sowie er davonsprach, Dankbarkeit ist eines jener Dinge, die am schnellsten altern, der Bär hat ihn aufgefordert, gefälligst selber zu reiten, es war angebracht, die gut informierte Stelle zum Schweigen zu bringen. Seufzend beschloß Herr von Gehrke, dem Gerede von seiner Untätigkeit durch eine neue Leistung ein Ende zu bereiten.
    Er überlegte. Vor einiger Zeit hatte einer seiner Agenten, ein gewisser Dittmann, ihm einen Vorschlag gemacht, der zwar nicht ohne Reiz, doch auch nicht ohne Risiko war. Spitzi hatte diesen Vorschlag dilatorisch behandelt, gemäß einem Prinzip, das er aus dem feudalen Spanien heimgebracht hatte: »Mañana, lieber morgen.« Vor wenigen Tagen nun war der gewisse Dittmann von neuem an ihn herangetreten, hatte erklärt, eine so günstige Gelegenheit, das Ding zu drehen, werde sich kein zweites Mal bieten, und hatte auf Bescheid bestanden. Der Anblick seiner Zähne, die Meinung der gut informierten Stelle, die Notwendigkeit, die Dreißigtausend zu beschaffen, war das alles nicht eine Aufforderung des Schicksals? Spitzi überwand wohl oder übel seine Hemmungen, und, sein Prinzip mit dem des

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