Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
geschehe.
Er erzählte von den mühevollen inneren Vorbereitungen, sich gut zu halten in der entscheidenden letzten Stunde, die jeden nächsten Augenblick anheben konnte. Seine Peiniger hielten ihn wahrscheinlich für mutig; was wußten sie von der Anstrengung, mit der dieser Mut erkrampft war, von der Angst, die ständig unter ihm lauerte. Es war die gleiche Art Tapferkeit gewesen, derenthalb man ihn seinerzeit an der Front gerühmt hatte, eine höchst mühevolle Tapferkeit. Er erzählte von den Unterhaltungen, die er mit sich selber geführt, um über die Furcht des Wartens wegzukommen, von den Übungen des Witzes und Verstandes, die er mit sich selber angestellt, von den scharfen Prüfungen, denen er sein Gedächtnis unterworfen, um in der einsamen Ewigkeit der Haft nicht verrückt zu werden. Mitten in der Erzählung unterbrach er sich, um den genauen Text einer Bibelstelle nachzuschlagen, die ihm fort und fort im Kopf herumgegangen war: »Des Morgens wirst du sprechen: ach, wäre es Abend, und des Abends wirst du sprechen: ach, wäre es Morgen, vor Angst deines Herzens, die dich ängstigen wird.«
Wovon er aber nicht erzählte, das war die Erkenntnis, eine bestimmte Erkenntnis, zu der er in den Monaten der Todesbereitschaft vorgestoßen war. Wenn er sich nämlich bis jetzt zur Idee des kompromißlosen Friedens bekannt, wenn er geschrien und geschrieben hatte: »Frieden, Frieden«, und: »Nie wieder Krieg«, dann, das war ihm nun aufgegangen, hatte das gar nichts heißen wollen. Das Privileg, für den Frieden kämpfen zu dürfen, ohne lächerlich zu werden, muß man sich erwerben. Um mit Erfolg für den Frieden kämpfen zu dürfen,muß man bewiesen haben, daß man es nicht aus Feigheit tut, aus Drückebergerei, sondern daß man gewillt ist, wenn es not tut, für die Sache des Friedens zu sterben. Ein messianischer Zustand ist erreichbar, und es müssen Menschen in der Welt sein, die dieses Ziel immer neu verkünden. Doch berufen zu dieser Verkündigung sind nur jene, die sich durch ihre Haltung bereit gezeigt haben, für dieses Ziel ihr Leben hinzugeben. Wenn Feiglinge für den Frieden manifestieren, was soll das nützen? Wirksam für die scheinbare Feigheit manifestieren kann nur der Tapfere.
Das kann man spüren, aber man kann es nicht aussprechen. Er jedenfalls trug Scheu, es auszusprechen. Gerade wenn er wirklich berufen war, einer von den Myriaden Nachfahren des Jesajas zu sein, dann durfte er kein Aufhebens von sich selber machen. Der wahre Verkünder des Friedens muß sich bewußt bleiben, nichts zu sein als ein demütiges Gefäß, und es ziemt ihm Bescheidenheit. Sowenig es einem erlaubt ist, stolz zu sein darauf, daß er atmet, sowenig darf ein Arbeiter am Frieden stolz sein auf diesen seinen Beruf: er muß vielmehr in einem hohen Sinn anonym bleiben. Die Notwendigkeit des Sichbescheidens, die stumme, demütige Tapferkeit, das war es, was Friedrich Benjamin in seiner Zelle im Angesicht des Todes gelernt hatte.
Von dieser seiner Erkenntnis also sprach er nicht. Aber das Bewußtsein seiner Berufung klang verborgen in seinem Bericht mit, nahm seiner Erzählung das Kleinliche und machte sie bedeutend. Ilse hörte angespannt zu. Sie liebte ihn um des Ernstes, der Scheu und Bescheidenheit willen, wie er erzählte. Es erhob sie, daß sie für diesen Mann hatte kämpfen dürfen. Sie liebte jetzt in ihm nicht nur ihn selber, sondern auch die Mühe, die sie für ihn aufgewandt hatte.
Nachdenklich, zärtlich, stolz, nachdem er geendet, sagte sie: »Jetzt müssen alle erkennen, wer du bist.« – »Wieso?« fragte er, ehrlich erstaunt. »Jetzt hast du doch gelitten für deine Sache«, erläuterte sie, und da er immer noch nicht zu verstehen schien, wiederholte sie, beinahe ungeduldig: »Jetztmüssen sie doch sehen, wer du bist.« Da aber wurde er heftig, und seine Sätze kamen mit der alten, höhnischen Schärfe. Wieso, ereiferte er sich, werde eine Persönlichkeit wertvoller durch ein ungewöhnliches Schicksal? Daß jemand ein Märtyrer sei, gebe ihm noch lange keine Bedeutung. Ein Autounfall erhöhe nicht einen leeren Tropf zu einem Kerl, ein Sankt Helena mache noch keinen Napoleon. Er, Friedrich Benjamin, habe gelernt durch sein Schicksal, aber das gehe ihn allein an, es müsse sich erst zeigen, ob er mit dem Gelernten etwas anfangen könne, und auf alle Fälle verbitte er es sich, daß man aus ihm einen Heros mache. Messe man ihn selber an seinem Schicksal, dann schneide er recht kläglich ab, und es
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