Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
noch immer tief verärgert. »Ich werde doch nicht die Geschmacklosigkeit begehen, Aufsehen zu erregen. Vielleicht war ich einmal eitel, sicher war ich es. Aber das ist das Beste, was ich jetzt aus Deutschland zurückgebracht habe: eitel bin ich nicht mehr.« Die Geschichte hatte ihn ganz aus den Fugen geworfen; mehrere Tage war nichts mit ihm anzufangen.
Zeigte schon dieser kleine Zwischenfall, daß man sich vor gewissen Sonderbarkeiten Friedrich Benjamins in acht nehmen mußte, so kam es bald zu ernsthafteren Reibungen.
Friedrich Benjamin war klug. Er wußte, daß seine Idee des kompromißlosen Friedens den weitaus meisten gerade in dieser Zeit als schiere Utopie erschien, und hatte sich vorgenommen, seine Überzeugung nur auf Umwegen zu verkünden, mit viel List. Aber er war zu tief besessen von seiner Idee, als daß sie nicht trotz seiner Vorsicht alles durchtränkthätte, was er schrieb, und viele Wendungen in seinen Artikeln erregten Bedenken bei seinen Kollegen und bei seinen Lesern.
Derjenige, der an Benjamins Haltung das heftigste Ärgernis nahm, war der praktische, klarsichtige Peter Dülken. Er fand, man solle die Ideale von morgen vorläufig auf sich beruhen lassen und lieber alle Kraft dareinsetzen, das Ziel von heute zu erreichen, den Zusammenbruch des Faschismus. Peter Dülken war duldsam. Seinethalb mochte Friedrich Benjamin sich über die Möglichkeit eines absoluten Friedens so viel Illusionen machen, wie ihm beliebte, er mochte, wenn er wollte, jedem Politiker von einigem Einfluß Kants »Ewigen Frieden« zuschicken oder jede Woche einmal in den Zoologischen Garten gehen und dem Wolf gut zureden, er möge neben dem Lamm weiden. Gegen eines aber lehnte sich Peter Dülken auf, dagegen, daß Benjamin durch Verkündigung seiner verblasenen Moral die Schlagkraft der »P. D. P.« minderte. Wenn ein so gescheiter Mensch wie Friedrich Benjamin messianisch verschwommenen Zielen nachhing, wenn er sich, weil er nur den Wald sah, an jedem einzelnen Baum wund stieß, so mochte er das mit sich allein ausmachen. Aber wenn er durch eigensinniges Festhalten am Ideal die Leser der »P. D. P.« in der Beurteilung aktueller Tagesfragen irrmachte, dann mußte man dagegen etwas unternehmen.
Eines Tages brach der Konflikt der beiden offen aus. Es ging um die Sanktionen, die England gegen den Angreifer des Landes Abessinien angewandt wissen wollte. Benjamin hatte in einem vorsichtig abwägenden Artikel auf die Gefahren hingewiesen, welche die Anwendung der Sanktionen für die Demokratien mit sich bringe; Pitt fand, gerade in dieser Frage habe die Besessenheit, mit welcher der andere auf sein letztes Ziel starre, ihm den Blick fürs Richtige verstellt. Sie tauschten Argument um Argument. Benjamin blieb ruhig und höflich, doch ließ er sich von dem, was Pitt im stillen seine »fixe Idee« nannte, nicht abbringen. Schließlich geriet Pitt, was ihm selten geschah, in Wut. Was ihn vor allem aufreizte, war BenjaminsLächeln. Wer Benjamin freund war, mochte finden, dieses Lächeln stamme aus einem tiefen, nicht umstürzbaren, inneren Wissen, es sei still, demütig, weise. Pitt hingegen sah darin das Lächeln eines Wahnsinnigen, es brachte ihn um seinen Gleichmut, er vergaß sich. Das braune, lange Haar warf er aus der Stirn, und: »Wissen Sie, Fritzchen«, sagte er, und es klang gar nicht mehr locker und pomadig, »daß Sie im Konzentrationslager gewesen sind, beweist noch lange nicht, daß Sie was von praktischer Politik verstehen.« Er bereute den Satz, noch ehe er ihn zu Ende gesprochen, und bat sogleich um Entschuldigung. Benjamin erwiderte auch ohne weiteres, er verüble dem andern seine raschen Worte nicht; aber sein Lächeln hatte sich verzerrt, er war blaß geworden, und trotz des heftigen Widerspruchs Peter Dülkens zog er seinen Artikel zurück.
Sie behandelten einander, er und Pitt, fortan mit besonderer Vorsicht. Aber ihre latente Gegnerschaft erschwerte die Redaktionsführung. Zarnke vor allem bedauerte den Zwiespalt der beiden und beschloß, ihn durch gütliche Verhandlung aus der Welt zu schaffen.
Listig verstand er es so einzurichten, daß sich Pitt und Benjamin eines Tages durch Zufall bei ihm trafen. Da saß man also bei Kaffee, Kirsch und Kuchen, und der Justizrat brachte behutsam die Rede auf die Prinzipien, welche die beiden trennten. Friedrich Benjamin stimmte beinahe allen einzelnen Thesen seines Gegners zu, aber er fand dessen letzte Folgerung falsch. Ihm schien jede Demütigung, jede Kapitulation
Weitere Kostenlose Bücher