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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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besser als die gesteigerte Wiederholung jenes höllischen Erlebnisses Krieg. Der Krieg war das Übel aller Übel; kein Hohn, versteckt oder offen, konnte ihn davon abbringen, daß die Fortdauer eines noch so menschenunwürdigen friedlichen Zustands besser sei als offener Krieg. Peter Dülken aber meinte, eine unzeitgemäße Wahrheit sei schlimmer als die schlimmste Lüge, und manchmal verbeiße sich einer darein, vom Unmöglichen zu träumen, nur um sich vom Möglichen zu drücken. Das mögliche Ziel, das zur Zeit einzig erstrebenswerte Ziel, sei die Niederwerfung des Nationalsozialismus. Von diesemerreichbaren Ziel aber komme man nur immer weiter ab, wenn man nichts im Auge habe als das vorläufig unerreichbare Ziel des ewigen Friedens.
    Zarnke mühte sich, zu vermitteln; doch seine bewährte Kunst versagte. Peter Dülken beharrte, und Friedrich Benjamin beharrte. Lieber kniend leben als aufrecht sterben, meinte Benjamin. Zuerst einmal versuchen, ob man nicht aufrecht leben könne, meinte Dülken. Beide brachten für ihre Meinung gute und zahlreiche Argumente vor, wie sie sich ja immer schnell einstellen, wenn man eine Sache nur recht glaubt und wünscht.
    Zarnke hörte zu. Er hörte sich Benjamins Argumente an, sie leuchteten ihm ein. Er hörte sich Dülkens Argumente an, auch sie leuchteten ihm ein. Er konnte sich nicht enthalten, das festzustellen und im Anschluß daran mit Behagen die Geschichte zu erzählen von dem Rabbi und dem Streit um das Kalb.
    Erscheinen da vor dem Rabbi als Schiedsrichter die Gemeindemitglieder Reb Mendel und Reb Leeser. Reb Mendel behauptet, ihm gehöre das Kalb, Reb Leeser behauptet, es gehöre ihm. Der Rabbi läßt sich von Reb Mendel den Fall umständlich darlegen und kommt zu dem Schluß: Du hast recht, Reb Mendel. Dann läßt er sich den Fall von Reb Leeser darlegen und kommt zu dem Schluß: Du hast recht, Reb Leeser. Da mischt sich Menuchim ein, des Rabbis Schüler, und sagt: Rabbi, wenn Reb Mendel recht hat, dann kann doch nicht auch Reb Leeser recht haben. Worauf der Rabbi zu dem Schluß kommt: Da hast du wieder recht, Menuchim.
    Die Freude an dieser Erzählung aber war die einzige Freude, die Justizrat Zarnke an seinem schlau unternommenen Versöhnungsversuch hatte. Denn wenn schließlich auch die beiden in scheinbar bestem Einvernehmen schieden, so hatte der wackere Zarnke doch erkennen müssen, daß ihre Meinungen mehr waren als Meinungen, nämlich Teile ihres Wesens, und daß diese Meinungen waren wie Feuer und Wasser. Er hatte also Kaffee, Kirsch, Geduld und guten Zuspruch vertan.Friedrich Benjamin erzählte Ilse von seiner Zusammenkunft bei Zarnke. Ilse kannte seine Anschauungen und teilte sie. Trotzdem kam auf einmal – wahrscheinlich reizte auch sie sein Lächeln – Rebellion in ihr hoch gegen seine milde Sicherheit. »Meine Güte, der hat’s dir aber gegeben«, sagte sie, und ihre Stimme klang höher, gedehnter, singender als sonst.
    Friedrich Benjamin sah hoch. Was war das? Sie war plötzlich wieder zur »sächsischen Lady« geworden. Sosehr er sich manchmal nach der früheren Ilse gesehnt hatte, jetzt, nun sie da war, war er übel betroffen.
    Sie, unvermittelt, wechselte den Gegenstand und fragte, ob er nicht endlich Sepp Trautwein aufzusuchen gedenke.
    Auch aus dieser Frage hörte Friedrich Benjamin einen bösartigen Unterton heraus. Er wußte von der geradezu wütenden Beflissenheit, mit der sich Sepp seiner Sache angenommen, und von den Opfern, die er für ihn gebracht hatte. Gewiß hätte er zu Sepp gehen und sich bedanken können. Aber wenn er gezögert hatte, ihn aufzusuchen, so war das gerade aus Dankbarkeit und aus Takt geschehen. Nicht nur wußte Benjamin, wie tief in seine Arbeit verstrickt Sepp war, und wollte sich ihm nicht aufdrängen, sondern er fürchtete auch, ein so streitbarer Mensch wie Sepp werde seinen Willen zum bedingungslosen Frieden noch viel heftiger verneinen und mißbilligen als etwa Peter Dülken, und er wollte dem Manne, dem er soviel schuldete, Ärger und Erregung ersparen.
    Er suchte nach Worten, Ilse das zu erklären. Sie aber, sein Schweigen mißverstehend, fuhr fort: »Du solltest nicht vergessen, daß es dieser Sepp Trautwein nur übernommen hatte, dich für fünf Tage zu vertreten, nicht für sieben Monate.« Jetzt sprach nur mehr die frühere Ilse, die gewohnt war, jede seiner Schwächen mitleidlos festzustellen und zu verhöhnen. Deutlich ließ sie durchspüren, was sie ihm unterstellte, daß er nämlich die Danksagung an Sepp

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