Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
werden wir in Glanz und Gloria dastehen. Und der »Beaumarchais« ist auch unterwegs, in allernächster Zeit wird er erscheinen, und er ist ein sicherer Erfolg.
Sind wir nicht zu hochmütig? In der Schule haben wir allerhand gelernt über die Hybris und die Strafe der Götter für die Hybris. Niobe, Xerxes, Napoleon. Seien wir nicht übermütig, erlauben wir uns nicht zuviel. Nicht einmal der Führer darf sich alles erlauben: er hat Friedrich Benjamin wieder herausgeben müssen.
Bin ich übermütig? Bin ich nicht wirklich in der bessern Situation? Ist es nicht wahr, daß sie mit meiner Verabschiedung sich selber mehr weh getan hat als mir? Ich habe es leichter, ich kann mich trösten, es fehlt nicht an Trösterinnen, es ist genug appetitliches Weibszeug um mich herum.
Auf seinem Arbeitstisch lagen, mit der letzten Post eingetroffen, die Korrekturen des »Beaumarchais«. Er besah dieTitelei. Da stand noch, in schönen, klaren, großen Typen, die Widmung an Madame de Chassefierre. Er nahm die Füllfeder und strich die Widmung quer durch mit einem saubern, dicken Strich. Er schluckte, während er den Strich zog, er spürte Schmerz und gleichzeitig ein Gefühl der Befreiung. Jetzt ist die Episode Lea aus, durchgestrichen, erledigt.
Von neuem stand er vor dem Porträt. Nachdem die Sache erledigt ist, warum dann eigentlich soll er das Bild weghängen? Er hat ja auch sonst aus abgelebten Zeiten allerhand Erinnerungszeichen aufbewahrt. Und das Bild ist ein Kunstwerk, ein erfreulicher Anblick. Und wenn er das Bild weghängen läßt, werden dann seine lieben Feinde nicht erst recht lächeln über den leeren Fleck an der Wand oder das Bild, das er zum Ersatz hinhängt?
Er beschaut das Porträt, dringlich, prüfend, als sähe er es das erstemal. Plötzlich, ganz laut, fängt er mit der gemalten Lea zu reden an. »Ich kenne dich auch anders, meine Liebe«, sagt er ihr, leise, süß, tückisch. »Ich habe an dir ein sehr anderes Antlitz gesehen, ein Antlitz, wie es bestimmt kein anderer Mensch an dir gesehen hat.« Er denkt daran, wie er sie manchmal liegen sah in der süßen Vernichtung nach dem Genuß. »Und ich werde dich wieder so sehen, meine Liebe«, verkündet er ihr. Alles sagt er der gemalten Lea, was der lebendigen zu sagen sie ihm keine Gelegenheit mehr gibt. Er beschimpft sie, fleht sie an, entschuldigt sich, droht, höhnt. Er fühlt sich erleichtert nach dieser Aussprache.
Nein, er kann Arsène die Freude nicht machen: das Bild bleibt hängen, wo es hängt. Das Bild hat lebendige Ohren, es hört alles, was er Lea zu sagen hat. Erst dann, wenn das Bild nicht mehr da ist, wird die Verbindung zwischen ihm und Lea endgültig zerrissen sein. Solange das Bild dahängt, solang ist sie sowenig frei wie er. Das Bild bleibt hängen. Es hängt gut da.
Auch ist es eine ständige, willkommene Mahnung. Sie haben mir vorgeworfen, Madame, ich sei nur ein halber Barbar, kein ganzer. Ich danke Ihnen für den freundlichen Hinweis. And therefore I am determined to prove a villain.
15
Der schlotterige Anzug
Ilse Benjamin wäre gern allein auf dem Bahnhof gewesen, um ihren Mann zu erwarten. Früher hatte sie sich peinlich gehütet, ihn »ihren Mann« zu nennen; er war Fritzchen gewesen oder Benjamin. Jetzt war er ihr Mann geworden, und sie hatte das Recht, ihn allein einzuholen. Aber die Leute von der »P. D. P.« behaupteten, das gehe nicht, daß sich Friedrich Benjamin unerkannt nach Paris hereinstehle, man wollte seine Rückkehr zu einem Triumph machen, und Ilse mußte das wohl oder übel gelten lassen. Es hatten sich also an dem Morgen, da er eintreffen sollte, viele Menschen am Ostbahnhof eingefunden, Reporter, Repräsentanten der französischen Linksparteien, Wichtigmacher, Neugierige, Filmoperateure.
Friedrich Benjamin stand am Fenster seines Abteils, die bekannte Melone auf dem Kopf, die bekannte Zigarre im Mund. Doch viel mehr als diese beiden Attribute war von dem früheren Benjamin kaum geblieben. Sein Gesicht war keineswegs mehr die Maske eines betrübten Clowns, es war schmal geworden, gelblichweiß, die braunen, kugeligen Augen brannten erschreckend heraus, es war ein zergrübeltes Gesicht, auf dem Fanatismus und Leid jedem sichtbar eingeschrieben waren.
Da stand er also am Fenster, in dem gleichen Anzug, in dem er weggefahren war, jetzt aber schlotterte der Anzug um ihn. Obwohl er seit langem keine so bequeme Lagerstatt gehabt hatte wie das Bett des Schlafwagens, hatte er nicht gut geschlafen. Seine Befreiung war
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