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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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zu plötzlich gekommen. Seine Wärter hatten ihm immer wieder zu verstehen gegeben, daß er sein Gefängnis kaum mehr lebend verlassen werde, kein Anwalt hatte Zutritt zu ihm gehabt, von den Anstrengungen, welche die zivilisierte Welt zu seiner Rettung unternommen, hatte er nichts erfahren, er hatte abgeschlossen undsich nur darauf vorbereitet, vor Gericht seinen Mann zu stellen und anständig und eindrucksvoll zu sterben. Als man ihn dann aus seinem Gefängnis herausholte und weitertransportierte, hatte er das Schlimmste befürchtet, daß man ihn nämlich ohne Prozeß hinterrücks erledigen werde. Wie man ihm später mitteilte, er stehe jetzt auf Schweizer Boden und sei frei, hatte er das zuerst für einen übeln Spaß gehalten, es war mehr Wirrnis für ihn gewesen als Freude, und als er schließlich zu glauben begann, war ihm schlecht geworden infolge des jähen Glückes.
    Während der ganzen Nacht im Schlafwagen war er aus einem tiefen Staunen nicht herausgekommen. Er wußte, wie selten jene Freiheit und Gerechtigkeit, für die er sein Leben hindurch gekämpft hatte, in der Wirklichkeit anzutreffen waren, und er hatte sich noch lange nicht damit abgefunden, daß gerade in seiner eigenen Sache Freiheit und Gerechtigkeit sollten gesiegt haben.
    Da war er vor sieben Monaten abgefahren, von dem gleichen Bahnhof, Ilse hatte zu ihm heraufgewinkt und ihm gesagt, er solle nicht telefonieren, die gleiche Melone hatte er auf dem Kopf gehabt und eine Zigarre genauso im Mund, und er hatte gedacht, daß er in spätestens fünf Tagen zurück sein werde, im Besitz eines wertvollen Passes und wertvoller Informationen. Nun waren aus den fünf Tagen sieben Monate geworden, und er kam zurück, immer noch ohne einen richtigen Paß, aber freilich viel informierter.
    Und da steht ja auch Ilse, sie ist der erste Mensch, nach dem er ausgespäht hat, eigentlich schon, seitdem sich der Zug in Bewegung gesetzt hat. Sie steht da, sie winkt nicht, sie schaut ihn nur an; aber wie sie ihn anschaut, das ist mehr, als wenn ihm ihr ganzer Körper entgegengestürzt käme.
    Er ging durch den Korridor, leicht wankend, er hielt sich an der Messingstange der Waggontreppe fest. Viele Gesichter schauten zu ihm herauf, er lächelte, ein scheues, tiefes Lächeln, er hatte nur einen Wunsch: nach Hause. Das heißt, wo ist sein Zuhause? Ist es noch das Hotel Atlantic? Zu Hause, das ist beiIlse, das ist dort, wo er sich ruhig hinlegen kann und schlafen, tief und lange.
    Viele Münder schrien zu ihm herauf, viele Hände streckten sich ihm entgegen, und da, endlich, ist auch Ilses Gesicht ihm ganz nahe, und umarmte er sie oder sie ihn? Er schüttelte viele Hände, er sagte wohl auch etwas, er wußte nicht recht zu wem, die frische Luft schwächte und erschütterte ihn. Dann schob sich alles dem Ausgang zu, Photographenapparate waren auf einen gezückt, Kinoleute kurbelten, tausend Augen starrten einen an. Und nun endlich saß er im Wagen, Ilse hatte eine Adresse angegeben, es hatte ihn doch so sehr beschäftigt, welche, und nun hatte er gar nicht darauf geachtet; er war auch zu müde und mitgenommen, um zu fragen. Es genügte, daß man jetzt irgendeinem Zuhause zufuhr, und daß er bald wird liegen und schlafen können.
    Dann war er allein mit Ilse. Folgsam, da er noch nicht gefrühstückt hatte, trank er Kaffee, aß auch einiges, aber was es war, hätte er nicht sagen können. Dabei schwatzte er. Er erzählte, wie das Gesicht seines ersten Wärters ausgesehen habe, seines zweiten, seines dritten, und was für einen Dialekt sie gesprochen hätten. Auch was es für ihn für eine Enttäuschung gewesen sei, erzählte er, daß er nicht habe arbeiten dürfen; er habe ebenso früh aufstehen müssen wie die andern, um fünf Uhr, die andern hätten zur Arbeit ausrücken können, für ihn aber sei der Tag endlos lang gewesen. Aber das war es doch gar nicht, was er hatte berichten wollen. Wie hatte er sich in der einsamen Zelle, während der unerträglich langen Stunden, da er auf das Ende wartete, danach gesehnt, zu erzählen. Es gab da soviel Berichtenswertes trotz des grausigen Einerlei, und es hatte ihn gebrannt, daß er keinem davon hatte sprechen können. Jetzt hatte er den Hörer, den er am brennendsten entbehrt, die beste, liebste Hörerin, Ilse, und jetzt schwatzte er lauter Unwichtiges, und von dem Wesentlichen, das ihn ganz anfüllte, sagte er kein Wort. Allmählich wurde denn auch der Fluß seiner Rede spärlicher, und schließlich verstummte er vollends.
    Ilse

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