Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
schlottere dann dieses sein Schicksal um ihn herum wie sein zu weit gewordener Anzug.
Sie ließ das nicht gelten. Es sei kein Zufall, beharrte sie, daß gerade er in die Hände der Nazi geraten und auf so gleichnishafte Art gerettet worden sei. »Es gibt ein Unglück«, erklärte sie überzeugt, »so groß, daß man darauf stolz sein darf.«
Er war so weit erholt, daß er sich damit beschäftigen konnte, was nun aus ihm werden sollte. Man legte ihm nahe, zunächst für eine kleine Weile aufs Land zu gehen und sich zu kräftigen. Geld war da, Hilfsorganisationen hatten es zur Verfügung gestellt. Er aber weigerte sich energisch; er wollte nicht in seiner Eigenschaft als Märtyrer unterstützt werden. Er wollte im Alltag untertauchen, seinen Dienst tun wie früher. Man mußte ihn gewähren lassen.
Er ging auf die Redaktion, geteilten Gefühles. Er war seiner Natur nach dankbar, und es bedrückte ihn, daß die Kollegen seinethalb durch ihren Streik ihre Existenz aufs Spiel gesetzt hatten. Auch fürchtete er, man werde ihn mit besonderer Rücksicht behandeln, und seine Scheu, aufzufallen, war ins Krankhafte gewachsen. Es gab viele Deutsche, die mehr gelitten hatten als er, er war keineswegs der einzige, der nach Deutschland zurückverschleppt worden war. Eine Ameisewar er, halb zertreten mit zehntausend andern zertretenen Ameisen: warum machte man soviel her gerade von ihm, von dieser einen Ameise? Er wollte nicht als etwas Besonderes behandelt werden. Das konnte ihn in der Erfüllung seiner neu und tiefer erkannten Aufgabe nur stören.
Nicht ohne Befangenheit, doch mit gespielter Gleichgültigkeit, langte er auf der Redaktion an. Er hatte sich vorgenommen, sich sogleich an seinen alten, abgenutzten Schreibtisch zu setzen, wie oft hatte er sich nach diesem Schreibtisch gesehnt. Allein er fand sich in den neuen Räumen nicht zurecht, er spähte nach dem Schreibtisch, erspähte ihn nicht, schon wollte er danach fragen. Da fiel ihm ein, daß er sicher im Besitz Gingolds in den alten Räumen zurückgeblieben war. Er schüttelte den Kopf über sich selber, daß er daran nicht rechtzeitig gedacht hatte.
Wenigstens begrüßten ihn die andern ohne Theater und Trara. Sie waren übereingekommen, kein Gewese aus seinem Wiedererscheinen zu machen. Ganz harmlos zu sein glückte ihnen freilich nicht. Sie beschauten ihn mit verstohlener Neugier, behandelten ihn wider Willen wie einen Rekonvaleszenten, traten sozusagen leise auf in seiner Gegenwart. Mit angenehmer Verwunderung nahm man wahr, wie bescheiden und rücksichtsvoll der früher so überhebliche, rechthaberische Mann sich gab. Es schien bei diesem ersten Besuch, als füge er sich in die neue »P. D. P.« viel besser ein als seinerzeit in die »P. N.«.
Schon in den nächsten Tagen indes stellte es sich heraus, daß bei allem guten Willen auf beiden Seiten die Zusammenarbeit nicht leichter geworden war. Gab sich Friedrich Benjamin gemeinhin freundlich, gefällig, ja kleinlaut, so zeigte er sich manchmal, und gerade dann, wenn man es am wenigsten erwartete, bösartig und gereizt.
Einmal zum Beispiel, als Redakteur Weißenbrunn beiläufig erzählte, sein Freund Jean Vevenelle, der bekannte Autor, habe einen Roman angefangen, der vom Schicksal eines von den Deutschen entführten emigrierten Journalisten handle,geriet Benjamin in außergewöhnliche Erregung. Mit einer Schärfe und Entschiedenheit, wie sie selbst der frühere Benjamin kaum je gezeigt hatte, verwahrte er sich dagegen, daß sein Schicksal Stoff hergebe zu irgendeinem Roman. Nach den übrigen Büchern Vevenelles werde dieser Herr bestimmt allerlei Psychologie in seinen Helden hineintifteln. »Sagen Sie Ihrem Freund Vevenelle«, sagte er mit lauter, umkippender Stimme, »daß ich mir das verbitte. Der Träger meines Schicksals, ich oder wer immer sonst es sein mag, ist völlig uninteressant. Es ist schade, daß es keine gesetzlichen Mittel gibt, den Verfertigern von Romanen, die auf so dreiste Art in die Privatsphäre eines Menschen eingreifen, auf die Finger zu klopfen. Ich bin nichts Außergewöhnliches, ich bin ein Mensch wie jeder andere, ich wünsche, daß man mich in Ruhe läßt.«
Etwas betreten über diesen Ausbruch, versuchte Redakteur Weißenbrunn, die Sache ins Scherzhafte zu ziehen. »Wenn Vevenelle«, meinte er, »es gar zu toll treibt, dann können Sie ja eine Verleumdungsklage gegen ihn anstrengen und Geld damit verdienen.« – »Ach, laßt mich ungeschoren«, wandte sich Friedrich Benjamin ab,
Weitere Kostenlose Bücher