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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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nur deshalb hinausschiebe, weil er diesen Sepp nie habe leiden können.
    Er schaute sie an. Er verzichtete darauf, sich vor der sächsischen Lady zu rechtfertigen. Er schwieg.
    Am nächsten Tag ging er zu Sepp, ins Aranjuez.
    Sepp war, als Friedrich Benjamin kam, mitten in der Arbeit. Er hatte, seitdem der Mann frei war, kaum mehr an ihn gedacht. Jenes gespenstische Fritzchen mit der kleinen, geisterhaften Musik ringsum war zerplatzt und verweht. Der leibhafte Benjamin, der da hereintrat mit der Zigarre im Mund und der vertrauten Melone auf dem Kopf, war ein gleichgültiger Bekannter, der einen in der Arbeit störte.
    Sepps Miene verhehlte nicht seinen Ärger. Friedrich Benjamin, empfindlich, gerade weil er vorhergesehen hatte, sein Anblick werde Sepp nicht willkommen sein, sagte hastig: »Ich wollte mich nur bei Ihnen bedanken und mich einmal umsehen, was Sie machen.« – »Ich mache, was ich gegessen habe«, sagte grob und bayrisch Sepp. Friedrich Benjamin versuchte zu scherzen. »Ich denke, das tun wir alle«, sagte er.
    Sepp war es schon leid, den andern so unwirsch empfangen zu haben. Schließlich hat der Mann allerhand Peinliches hinter sich, und es war nicht seine Schuld, wenn er zur Unzeit kam. »Nichts für ungut«, sagte also Sepp, »aber Sie sehen, ich bin mitten in der Arbeit.« – »Ich will Sie nicht aufhalten«, antwortete Friedrich Benjamin. Aber: »Nein, nein«, sagte eilig Sepp, bemüht, seine Derbheit gutzumachen, und: »Da Sie schon da sind, bleiben Sie und setzen Sie sich«, fuhr er fort, etwas hilflos.
    Er sah das gelblichweiße Gesicht des Mannes, seine brennenden, fiebrigen Augen und bereute ehrlich, daß er so mürrisch gewesen war. »Hören Sie, Fritzchen«, sagte er gutmütig, »wir müssen feiern, daß Sie wieder da sind. Man wird halt fuchtig, wenn einen jemand aus der Arbeit herausreißt. Aber das ist weiter nicht bös gemeint, das müssen Sie verstehen.« Und bevor der andere erwidern konnte, fuhr er fort: »Ich bin Ihnen sowieso noch eine Revanche schuldig. Kommen heute Sie mit mir essen. Aber das bitt ich mir aus: diesmal fordert keiner den andern auf, ihn zu vertreten.« Er bestand auf seiner Einladung, bis Benjamin annahm.
    »Wohin gehen wir?« fragte Sepp und, ohne die Antwort abzuwarten: »In unsern alten Coq d’Argent?«
    Da saßen sie also in dem gleichen Raum, wo damals ihre Vereinbarung zustande gekommen war. Benjamin beschaute von der Seite her seinen Gastgeber. Das hagere Gesicht hatte ihm von jeher mißfallen, die tiefliegenden Augen, die Bartstoppeln, das laute Gehabe, der Mann war ihm immer wesensfremd gewesen. Dabei spürte er gerade vor diesem Fremden immer wieder den Drang, sich auszusprechen.
    Er entsinnt sich deutlich des abweisenden Gesichtes, mit dem dieser Sepp ihn angehört hat während seiner Selbstbespiegelung damals bei ihrer letzten folgenschweren Unterredung. Obwohl Sepp dann später soviel für ihn getan hat, sind sie einander wohl reichlich zuwider. Merkwürdig, daß er trotzdem auch heute Lust verspürt, Dinge, die er keinem andern sagen kann, nicht einmal Ilse, diesem Fremden anzuvertrauen. Vielleicht eben, weil er so fremd ist?
    Er wird sich bezwingen, er wird es nicht tun. Er wird sich nicht just vor diesem Mann, dem er zuwider ist, entblößen und ihn in sein Inneres hineinschauen lassen. Aber wenn Friedrich Benjamin auch kein Aufhebens von sich machen will, auf die Dauer fällt es ihm schwerer und schwerer, seine neue Erkenntnis, daß nämlich und warum er zu den Berufenen gehört, für sich allein herumzutragen.
    Da hat er auch schon den Mund aufgetan. »Ich möchte Ihnen etwas sagen, Sepp«, hub er an, »Ihnen etwas anvertrauen, wenn Sie so wollen. Aber ich muß Sie vorher daran erinnern, daß ich eine Eigenschaft besitze, von der ich sonst nicht gern rede. Jetzt muß ich davon reden, sonst könnten Sie alles, was ich Ihnen später zu sagen habe, mißdeuten und es für den Ausfluß eines sanften, das heißt eines feigen Temperamentes ansehen. Also zunächst: ich bin nicht feig von Temperament. Im Gegenteil, ich hätte nie als Jude und als gemeiner Soldat schon 1916 das Eiserne Kreuz Erster Klasse bekommen, wenn ich mich nicht tapfer gehalten hätte. Es war nicht angeborener Mut: ich hab mich überwinden müssen. Ich war tapfer aus Ekel am Kriegerischen, ich war tapfer, weil ich mir das Recht holen wollte, gegen dieses verfluchteKriegerische anzugehen. Und ich habe mich auch jetzt in meiner Haft tapfer gehalten. Ich sage das nicht aus

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